Verein Journalismus und Wissenschaft

Freie Privatstädte: Utopie oder realistisches Modell für die Zukunft?

Der His­to­ri­ker Mar­tin Grosch hat in sei­ner Stu­die über Sezes­sio­nen über­zeu­gend dar­ge­legt, daß die meis­ten Abspal­tun­gen von Staa­ten in den letz­ten Jah­ren wenig erfolg­reich ver­lie­fen. Das betrifft zum Bei­spiel den (Süd-)Sudan, aber auch Bos­ni­en und Her­ze­go­wi­na.

Liber­tä­re Theo­re­ti­ker ver­brei­ten hin­ge­gen das Nar­ra­tiv, klei­ne Staa­ten sei­en in der Regel frei­heit­li­cher und hät­ten ein höhe­res Wirt­schafts­wachs­tum. Als Bei­spie­le für ihre The­se füh­ren sie gern die Schweiz und sou­ve­rä­ne Stadt­staa­ten wie Sin­ga­pur an. Sin­ga­pur belegt im aktu­el­len PISA-Ran­king Platz eins und dürf­te auch in den 2020er-Jah­ren einen beein­dru­cken­den Anstieg des Brut­to­in­lands­pro­dukts hinlegen.

Spricht das nun für die Klein­staa­te­rei? Oder soll­ten wir die von Mar­tin Grosch auf­ge­zähl­ten Staa­ten als war­nen­de Bei­spie­le vor die­sem Expe­ri­ment begrei­fen? Der liber­tä­re Unter­neh­mer Titus Gebel weist hier womög­lich mit sei­nem Kon­zept der frei­en Pri­vat­städ­te einen Aus­weg aus die­sem Dilem­ma: Gebel läßt kei­nen Zwei­fel dar­an, wel­ches Modell er prä­fe­riert. Er wünscht sich freie Pri­vat­städ­te, die sich von den der­zeit bestehen­den Staa­ten los­lö­sen und selbst alle not­wen­di­gen Staats­dienst­leis­tun­gen übernehmen.

Aus sei­ner Sicht reicht es dabei aus, wenn die Städ­te ein­zig und allein für Sicher­heit sor­gen. Alles ande­re lie­ße sich pri­vat­wirt­schaft­lich am bes­ten lösen. Er wünscht sich also Mini­mal­staa­ten in Minia­tur­for­mat. Gera­de im Hin­blick auf die Migra­ti­ons­po­li­tik gesteht er die­sen Staa­ten indes aus­nahms­wei­se restrik­ti­ve Regeln zu. Sin­ga­pur beschrei­te die­sen Weg, „das sogar fest­legt, wie hoch der jewei­li­ge Anteil von Chi­ne­sen, Malai­en oder Indern pro Wohn­block sein darf“, erklärt Gebel.

Zum Glück ist er aber Rea­list genug, um zu begrei­fen, dass sich die Welt nicht in Mil­lio­nen von Städ­ten wie Sin­ga­pur auf­spal­ten läßt. Wer betrie­be dann Land­wirt­schaft? Und was wür­de aus unat­trak­ti­ven Regio­nen, für die sich nur die Mafia als Rück­zugs­ort inter­es­siert? Gebel sagt des­halb, es müs­se die Mög­lich­keit für freie Pri­vat­städ­te geben. „Wer all das ablehnt, bleibt in her­kömm­li­chen Sys­te­men. Für vie­le Men­schen mag ein Sys­tem, das auf Eigen­ver­ant­wor­tung und Selbst­be­stim­mung beruht, schlicht­weg nicht das Rich­ti­ge sein. Sie ver­lan­gen nach Füh­rung, Vor­ga­ben für ihr Leben sowie Sinn­stif­tung. Auch das ist eine zu respek­tie­ren­de Entscheidung.“

Eben­so hält Gebel neben sei­nem liber­tä­ren Mus­ter­stadt­staat die Ent­ste­hung ande­rer Gemein­we­sen für denk­bar und begrü­ßens­wert. Gebt den Grü­nen also ein­fach ein Stück Wald, ein Feld und eine Stadt, in der sie zei­gen kön­nen, ob ihr Wol­ken­ku­ckucks­heim allein mit Wind­rä­dern und Solar­an­la­gen funktioniert!

Sind das alles nur rein theo­re­ti­sche Über­le­gun­gen? Gebel argu­men­tiert his­to­risch und real­po­li­tisch zugleich. Er führt die Repu­blik Vene­dig, die frei­en deut­schen Reichs- und Han­se­städ­te als Erfolgs­mo­del­le an. Zugleich stellt er die Fra­ge, wie denn die Bun­des­re­pu­blik als Hoch­steu­er­land ernst­haft im inter­na­tio­na­len Wett­be­werb bestehen will, solan­ge die erfolg­reichs­ten Bür­ger und Unter­neh­men nach Mona­co, Dubai oder ande­re Steu­er­oa­sen zie­hen kön­nen? Das gilt ins­be­son­de­re für das digi­ta­le Zeit­al­ter, in dem vie­le Unter­neh­men kei­ne rie­si­gen Fabri­ken mehr brauchen.

Und wer Fabri­ken bau­en möch­te, der sie­delt sich in einer der 4.300 Son­der­wirt­schafts­re­gio­nen an. Selbst in der Euro­päi­schen Uni­on gibt es ca. 100 sol­cher Regio­nen mit nied­ri­ge­ren Steu­ern, schnel­le­ren Ver­fah­ren, bes­se­rer Infra­struk­tur und wei­te­ren Vor­tei­len für Arbeit­neh­mer und Arbeitgeber.

Ange­sichts die­ser Rea­li­tä­ten hofft Gebel, für sei­ne Pri­vat­städ­te Gast­ge­ber­staa­ten zu fin­den, die ein bestimm­tes Gebiet qua­si ver­mie­ten, um damit Ein­nah­men zu generieren.

Lite­ra­tur: Titus Gebel: Freie Pri­vat­städ­te. Mehr Wett­be­werb im wich­tigs­ten Markt der Welt. 3. akt. und erwei­ter­te Auf­la­ge von 2023.

Bild­hin­ter­grund: Lübeck („Die Stadt Lübeck, einst stol­zer Haupt­ort der Han­se, ist heu­te zu einer unbe­deu­ten­den deut­schen Regio­nal­stadt her­ab­ge­sun­ken.“ Titus Gebel)