Kommentar von unserem Autor Lothar W. Pawliczak: Nein, ich will Sie nicht beunruhigen und schon gar nicht die Bürger mit einem Teil möglicher Antworten verunsichern. Aber ein wenig Beunruhigung kann vielleicht doch hilfreich sein: Ist nicht jenen Pessimisten, die ständig die Katastrophe voraussehen, damit sie nicht eintritt, als einzig wahren Optimisten zu danken? Sagen nicht auch EU-Politiker und ihre Medien eine dem Brexit folgende Krise voraus, damit sie nicht eintritt?
Man muß kein Prophet sein – zumal ja Prognosen ohnehin schwierig sind, besonders wenn sie die Zukunft betreffen, um zu wissen, daß die nächste Wirtschaftskrise kommt. Wer sich nur ein bißchen mit der Wirtschaftsgeschichte befaßt hat, weiß, daß es in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen zu Krisen kommt. Man weiß nur nicht warum und vor allem weiß man nicht, wann und in welcher Branche sie beginnt.
Inzwischen gibt es Krisenwarnungen genug. Die Wirtschaftsparty ist vorbei. Die Anzahl der Kurzarbeiter hat sich gegenüber dem Vorjahr fast verdoppelt. Ein weiterer Anstieg wird erwartet und es gibt wieder Massenentlassungen. Brechen da nur für die Arbeitnehmer härtere Zeiten an?
Was passiert mit sanierungsbedürftigen Staatshaushalten und mit sanierungsbedürftigen Unternehmen, die sich nur noch aufgrund der Null-Zins-Politik am Markt halten können? Was passiert mit unserem Geldvermögen, wenn die nächste Krise kommt? Wie retten wir das Gesundheitssystem? Was wird aus Ihrer Lebensversicherung? Auf diese Fragen werden Sie kaum eine befriedigende Antwort finden.
Dafür betätigt sich EZB-Präsident Draghi als Gesundbeter und Bundeswirtschaftsminister Altmaier verkündet angesichts der abgekühlten Konjunktur die frohe Botschaft: „Wir werden diese Schwächephase perspektivisch wieder überwinden.“ Da er nichts Besseres zu bieten hat, ist es nur konsequent, seine Ablösung zu fordern. Insbesondere die mittelständischen Unternehmen haben viele Gründe, mit der Politik zu fremdeln.
AfD wird als Sündenbock vorbereitet
Inzwischen hat man aber den Sündenbock gefunden, den man verantwortlich machen kann, wenn die Krise einsetzt, bevor das „perspektivisch“ wirksam wird: Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), äußerte im Handelsblatt, es sei „beängstigend“, daß die AfD erheblichen Einfluß auf die Politik erlangt. Wenn es zu einer Krise komme, kann man die im Herbst zu erwartenden beträchtlichen Wahlerfolge der AfD in Ostdeutschland dafür verantwortlich machen.
Der Soziologe Matthias Quent vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft empfiehlt ostdeutschen Unternehmen in derselben Zeitung in mehreren Artikeln immer wieder „im eigenen Interesse Position (zu) beziehen“. Nun ja, ich gehe davon aus, daß jeder Unternehmer weiß, was seine Interessen sind, und niemand sich dabei bevormunden läßt. Der Vorstandsvorsitzender der Stiftung Familienunternehmen, Brun-Hagen Hennerkes, faßte die Unternehmerinteressen so zusammen: „Wir benötigen eine Agenda für mehr Wettbewerbsfähigkeit, die sowohl von Berlin als auch von Brüssel unterstützt wird. Weitere arbeitsrechtliche Benachteiligungen, wie in der vergangenen Legislaturperiode beschlossen, kann das deutsche Familienunternehmen nicht mehr tragen.“
Krisen bringen auch Entwicklungschancen
Und – Brexit hin oder her: „Auf jeden Fall muss Großbritannien ein wichtiger Handelspartner und ein enger politischer Freund Deutschlands bleiben.“ Der digitale Wandel erfordert einen förderlichen politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmen sowie moderne Infrastrukturen. „Was diese Rahmenbedingungen angeht, ist die Situation in Deutschland derzeit nicht optimal.“
Das hilft in Vorbereitung auf eine Krise, die irgendwann kommt, nicht weiter. Verläßt man aber die Attitüde des weltwirtschaftlichen Überfliegers und Krisenpropheten, erweist sich, daß der Weltmarkt aus einer Vielzahl sehr unterschiedlicher Märkte besteht, aus Branchenmärkten, aus regionalen und nationalen Märkten, die sich unterschiedlich und teilweise gegensätzlich verhalten.
Joseph A. Schumpeter begriff Wirtschaftskrisen als schöpferische Zerstörung, die Ansätze und Raum für neue Entwicklungen schaffen. Grade für mittelständische Unternehmen, die oft flexibler sind als große Konzerne, liegen hier die Chancen: Marktlücken in der unterschiedlichen Entwicklung der Branchen und Regionen erkennen und nutzen!
Wenn große Konzerne Arbeitskräfte abbauen, bedeutet das: Da ist ein Potential gut qualifizierter und erfahrener Fachkräfte greifbar, da erfolgen Umstrukturierungen, die neue Zulieferungen, Infrastrukturveränderungen, Bildungsanstrengungen erfordern. Das sind auch Entwicklungschancen!
Stärkung des nachbarschaftlichen Prinzips
Schließlich: Es sind gerade die Besonderheiten und Unterschiede, die den Beitrag der einzelnen Länder zum Weltmarkt, der einzelnen Regionen zum europäischen Markt, der einzelnen Unternehmen zu den regionalen Märkten interessant und konkurrenzfähig machen. Dabei hilft auch die Stärkung des nachbarschaftlichen Prinzips, der Kooperation im Wettbewerb, der gemeinsamen Finanzierung und Hilfe in Notlagen vor Ort als ein notwendiges Gegengewicht zur Globalisierung.
Und wir haben mit dem redlichen Hanseaten, dem rheinischen Kapitalismus, den preußischen Tugenden, der schwäbischen Sparsamkeit, der thüringischen Kultur, dem sächsischen Glanz einiges zu bieten: Das hohe Ansehen der deutschen Wertarbeit in der Welt fußt auf dem berechtigten Stolz des Handwerkers wie des selbstverantwortlichen Unternehmers. Eine Publizistin, die als Politikerin bei den Grünen aufgegeben hat, formulierte das so:
Arbeit ist weithin Beruf im Sinne von Berufung, nicht nur notwendiges Übel zum Gelderwerb. Geld soll natürlich auch verdient werden, aber die Arbeit bildet den Mittelpunkt des Lebens, um den herum man Familie und Freizeit baut. (…) Nach wie vor gilt Arbeit bei den meisten noch als Selbstverständlichkeit, die man nicht nur nicht in Frage stellt, sondern die auch auf höchstmöglichem Niveau verrichtet wird – und wenn es das Harken des Laubs im Herbst oder das Säubern der Latrinen ist. Natürlich gedeiht auf solchem Nährboden der Kapitalismus. Aber er gedeiht in Verbindung mit Heimatverbundenheit und Gemeinschaft auch sozial verträglich. (Antje Hermenau: Ansichten aus der Mitte Europas. Wie Sachsen die Welt sehen. EVA Leipzig 2019, S. 37f)
So sehen nicht nur die Sachsen die Welt, sondern das ist der Kern der deutschen Wirtschaftskultur. Adolph von Menzel hat das bereits auf seinem Gemälde Eisenwalzwerk von 1875 gezeigt. Der selbstverantwortliche Unternehmer ist im Bild rechts im Hintergrund kaum zu erkennen. Und der ostdeutsche Arbeiter ist ein glücklicher Sisyphos, der unter allen Umständen seine Arbeit gut machen will. Den hat wohl niemand besser dargestellt als Manfred Krug im Film Spur der Steine (Regie: Frank Beyer, 1966).