2010 erschien von dem Nobelpreisträger George A. Akerlof und Rachel E. Kranton eine Einführung in die »Identity Economics«. Den beiden VWL-Professoren geht es mit diesem Ansatz darum zu erklären, warum bestimmte Berufe als Männer- oder Frauendomänen gelten, welchen Einfluß die Ethnie auf den Erfolg in der Schule hat und wie sie das Einkommen nach oben oder unten korrigiert.
Identitätsökonomie in diesem Sinne soll dazu beitragen, feste Identitäten zu überwinden, um mehr Gleichheit zu erreichen. Doch Akerlof und Kranton können die Bedeutung der Identität nicht einfach so umschiffen. Sie müssen in ihrer Arbeit eine »starke Bevorzugung der eigenen Gruppe« als Normalfall zugeben. »Menschen verhalten sich anders, wenn sie auch nur subtil an ihre ethnische, kulturelle oder geschlechtliche Identität erinnert werden«, betonen die Autoren.
Unternehmen können dies nutzen. Das Appellieren an den Patriotismus der eigenen Mitarbeiter dürfte etwa sehr erfolgreich sein, wenn es sich nicht gerade um eine traumatisierte Nation handelt. Ebenso hat sich der Nutzen einer »Corporate Identity« längst erwiesen. Präsentieren sich Unternehmen ihren Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten und Investoren gegenüber als eine klar erkennbare Gruppe mit festen Werten, generieren sie so ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal, nämlich eine eigene Identität.
Um den Nutzen bzw. Sinn der Identität wissenschaftlich zu untermauern, definieren Akerlof und Kranton: »In der Identitätsökonomie nehmen wir an, daß Menschen sich in aller Regel an Normen halten, weil sie es wollen. Sie internalisieren die Normen und erfüllen sie. Dieses Verständnis entspricht jedoch nicht der traditionellen Sicht der Wirtschaftswissenschaftler. Sie betrachten Normen bis heute in der Regel als etwas, das von äußeren Kräften aufrechterhalten wird: Menschen erfüllen Normen, weil sie sonst in irgendeiner Weise bestraft werden könnten.«
Die intuitive Bejahung von Normen, mit denen man sich identifizieren kann, haben signifikante Auswirkungen auf die Organisation von Unternehmen. Denn haben die Mitarbeiter den evolutionären Sinn ihres Tuns vor Augen (vgl. Recherche D, Heft 2), brauchen sie geringere finanzielle Anreize. Außerdem ist weniger Kontrolle nötig, weil eine Aufgabe in Einklang mit der eigenen Identität motivierter angegangen wird.
»Wenn ein Beschäftigter nur finanziell entlohnt wird und nur wirtschaftliche Ziele hat, wird er das System melken, weil er ungestraft davonkommt. Ist er jedoch ein Insider und hat er dieselben Ziele wie seine Organisation, so verschwindet dieser Interessenkonflikt«, so Akerlof und Kranton.
Bedenkenswert sind auch ihre Aussagen zur sozialen Verantwortung von Unternehmen. Die Identitätsökonomie belege, daß »keine einzelne Firma« gegen den Strom schwimmen könne, um »gesellschaftliche Normen zu ändern«, da die Kosten dafür zu hoch wären. Im Endeffekt wäre damit »Corporate Social Responsibility« überflüssig.
Mehr als das, was Staat und Zivilgesellschaft sowieso schon leisten, ließe sich von Unternehmen nicht erwarten.
Dieser Beitrag erschien zuerst in Recherche D, Heft 5 (Mai 2019).
George A. Akerlof / Rachel E. Kranton: Identity Economics. Warum wir ganz anders ticken, als die meisten Ökonomen denken. München 2011.