Mit der Dresdner Autorin Eva Rex haben wir ausführlich über Künstliche Intelligenz gesprochen. Rex hat vor einigen Jahren zunächst dazu aufgerufen, den gesunden Menschenverstand zu retten und in diesem Jahr einen Essay über TechnOkkultismus vorgelegt.
Recherche D: Sehr geehrte Frau Rex, was zeichnet Ihrer Meinung nach einen intelligenten Menschen aus und inwiefern können Maschinen intelligent werden?
Eva Rex: Im Allgemeinen wird menschliche Intelligenz definiert als die Fähigkeit, Probleme – welcher Art auch immer – zu lösen. Transhumanisten wie Harari oder Kurzweil verstehen unter Intelligenz eine mathematische Leistung, eine Rechenbegabung. Um diesem Modell zu entsprechen, übersetzen sie sowohl die zu lösenden Probleme als auch die Lösungen in mathematische Formeln.
Seit Einführung der IQ-Tests hat sich die Vorstellung durchgesetzt, man könne die Intelligenz eines Menschen entlang einer einfachen Linearskala quantitativ erfassen. Das ist sicherlich verkürzt und verweist auf ein Problem, das schon lange vor dem Aufkommen der Rechenmaschinen bestand: Schon Francis Bacon setzte Vernunft mit logischem Denken gleich – Intelligenz sei also gleichbedeutend mit Rationalität. Seit dem 20. Jahrhundert herrscht die Vorstellung, der Mensch sei ein „informationsverarbeitendes System“, dabei gilt: je „komplexer“ dieses System aufgebaut ist, desto intelligenter ist der Mensch. Das menschliche Gehirn sei nichts weiter als eine komplizierte Maschine, die man eines Tages wird nachbauen können.
Die Gleichsetzung von Intelligenz und IQ hat dazu geführt, daß nur das als intelligent angesehen wird, was als Lösung schon vorgegeben ist. Solche Leistungen können tatsächlich auch Maschinen übernehmen, die lediglich reproduzieren, was in sie reingesteckt wurde. Etwas wirklich Neues können sie nicht erschaffen, schöpferische Wirkkraft bleibt ihnen versagt. Diese kann auch nicht mit einem IQ-Test erfaßt werden.
Was hat der Mensch und der Computer nicht? Selbstreflexion, Einfühlungsvermögen und die Fähigkeit, die Perspektive zu wechseln. Der Mensch verfügt über Selbstachtung, individuelle Autonomie und Initiativkraft. Das macht ihn unberechenbar im wahrsten Sinne des Wortes – und das unterscheidet ihn von einem maschinellen Rechenprogramm. All diese Eigenschaften werden zusammengefaßt und gekrönt von dem Bedürfnis, einen Platz in der Welt zu finden. Der Mensch strebt nach Sinn – und das macht seine eigentliche Intelligenz aus.
Nun gibt es bei den Transhumanisten die fixe Idee, daß sich die Künstliche Intelligenz (man unterscheidet zwischen schwacher und starker KI) vorläufig noch in einem niederen Entwicklungsstadium befindet – wie ein Kind, das erwachsen werden muß, ihr steht ein Reifungsprozeß wie beim Menschen noch bevor. Es ist dies der Traum von der „selbstlernenden“ KI, die alle Stufen eines vorgeschriebenen Entwicklungsprozesses durchschreiten muß, bis sie irgendwann zur eigentlichen Reife gelangt, das heißt zur eigenen „Bewußtheit“.
Sobald dies geschehen ist, so die Annahme, wird es eine „Superintelligenz“ (oder „Intelligenzexplosion“) geben, die aus der schwachen KI eine starke machen wird. Diese wird dann schöpferisch sein, d.h. mit eigenen Willensimpulsen ausgestattet, und sie wird auch über all die „transzendenten“ Eigenschaften verfügen, die einen Menschen auszeichnen …
Wir können nur hoffen, daß solche Voraussagen auf einer falschen „Rechenleistung“ basieren und dieser schicksalhafte Moment niemals eintreten wird.
In Ihrem Buch TechnOkkultismus befassen Sie sich mit der religiösen Aufladung der Erwartungen an „Künstliche Intelligenz“. Man könnte argumentieren, daß damit gewissermaßen eine europäische Tradition fortgesetzt wird. Rodney Stark hat schließlich die Fortschrittsaffinität des Christentums seit dem Mittelalter nachgewiesen und Max Weber sprach bekanntlich von einer besonderen protestantischen Arbeitsethik. Warum sehen Sie aber dann diese religiöse Aufladung so kritisch?
Es ist problematisch, wenn Wesensmerkmale, die für den Glauben gelten, sich auf den profanen Bereich verschieben, und noch problematischer, wenn dabei die religiöse Grundlage wegfällt.
In meinem Buch geht es um die Erlösungssehnsucht des Menschen. Säkulare Ersatzreligionen können diese tief verankerte Sehnsucht nicht stillen. Im Gegenteil, durch innerweltliche Heilsbestrebungen wird ein destruktiver Schraubmechanismus wirksam: je näher man sich dem vermeintlichen Ziel glaubt, desto stärker wird die Qual des Unerlöstseins. Eine metaphysisch obdachlose Zivilisation wie die unsere ist besonders anfällig für überladene Sinnversprechen, die ins Leere laufen. Das sehen wir nicht nur im Bereich der Technologie, sondern auch in verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Bestrebungen, wo ein Umschlagen in sektenartiges Eifertum die Folge ist, z.B. in der Klimareligion, in der Gender-Bewegung, im Veganismus, in der woken Gerechtigkeitsagenda, in der universalistischen Hypermoral.
Was die Fortschrittsaffinität des Christentums betrifft, da stimme ich Ihrer Aussage voll und ganz zu. Gelehrsamkeit, Geistesbildung, Forschung und Wissenschaft wären ohne das christliche Mönchtum gar nicht denkbar. Durch die mittelalterliche Theologie wurde vernunftgeleitetes Denken zu einem festen Bestandteil des Christentums und bildet seitdem die Grundlage der abendländischen Kultur. Auch andere aus dem christlichen Zusammenhang entnommene Denkfiguren haben maßgeblich dazu beigetragen, daß sich moderner Forschergeist durchsetzen konnte, z.B. das Axiom von der linearen Ausrichtung geschichtlicher Abläufe, die eschatologische Kategorie eines Endziels, die Annahme von Entwicklungsprozessen in Welt und Kosmos, welche Grundvoraussetzung für die Hervorbringung der Evolutionstheorie war.
Außerdem: der Drang nach Veränderung, der Aufbruch zu neuen Horizonten im Geist und in der Technik. Und nicht zu vergessen: die Wertschätzung der Freiheit, der Individualität, der Willensfreiheit. All das sind christliche Begriffe, deren ursprüngliche Bedeutung heute verloren gegangen ist. Eines allerdings war im christlichen Glaubensverständnis nicht vorgesehen: die Errichtung eines irdischen Paradieses. Alle Heilserwartung richtete sich auf das Jenseits. Seit jedoch der Glaube an Gott verlorengegangen ist und sich der Mensch an seine Stelle gesetzt hat, hat sich die Paradies-Erwartung auf das Diesseits verschoben.
Auch die christlichen Symbole, die ursprünglich einen festen transzendenten Bezug hatten, wurden innerweltlich umgedeutet, so daß der eigentliche Gehalt dieser Symbole abhanden kam. Unter Zuhilfenahme dieser säkularisierten Ursymbole wurden all die neuzeitlichen Utopien zusammengebastelt, die später zu den großen innerweltlichen Antireligionen wurden, also Sozialismus, Kommunismus, Faschismus, Nationalsozialismus. Eric Voegelin hat gezeigt, was es bedeuten kann, wenn der Sinnzusammenhang mit der eigenen Religion und Tradition abhanden kommt. Er sah voraus, daß der Atheismus der Aufklärung und die „wissenschaftlichen“ Utopien des 20. Jahrhunderts in eine Selbstzerfleischung, einen „Blutrausch“, eine Totalvernichtung münden würden. Genau das versuche ich hinsichtlich der allerneuesten „wissenschaftlichen“ Utopie herauszuarbeiten: dem Transhumanismus, bei dem es um Erlangung der Unsterblichkeit geht, um die totale Beherrschung von Natur und Mensch-Sein, um die größenwahnsinnige Umkehr des Verhältnisses Schöpfergott-Mensch.
Das Grundproblem all dieser phantastischen Utopien besteht darin, daß diese nicht aus geistiger Kontemplation hervorgegangen sind, sondern aus niederen Trieben und Instinkten. Ziel aller Anstrengungen ist nicht Gottesschau und Selbsterkenntnis wie in der christlichen Tradition, sondern der Wunsch nach Herrschaft und totaler Kontrolle.
Eric Voegelin, auf den Sie sich beziehen, befürchtete eine „Selbstdeformation des Menschen“ und „Realitätsfinsternis“. Er störte sich daran, daß die tatsächliche Erfahrung immer mehr von einer „imaginären Realität“ verdrängt werde. Was geschieht nun Ihrer Meinung nach, wenn künstliche Welten unsere Wahrnehmung dominieren? Und: Gibt es überhaupt einen Weg zurück zu den natürlichen Welten?
Der Verlust der Erfahrung und damit der Urteilskraft ist auch das große Thema bei Hannah Arendt! Arendt hat sich ja in ihren Werken mehrmals auf Voegelin bezogen.
In der Tat ist es so, daß die „imaginäre Realität“ in Form von virtuellen Simulationen die sinnliche Wahrnehmung zunehmend überlagert und echte Erfahrung und damit den Sinn für Wahrhaftigkeit zum Verschwinden bringt. Doch für den Verlust der Realität braucht es die Digitalität gar nicht. Sie ist nicht die Ursache für die immer mehr um sich greifende „Realitätsfinsternis“, sondern deren Folge. Wenn es um die Abschaffung der Wirklichkeit geht, haben postmoderne Theoretiker bereits im letzten Jahrhundert ganze Arbeit geleistet. Wer glaubt denn heute noch daran, daß es so etwas wie eine „objektive Realität“ gibt? Der heute regelrecht physisch empfundene Wirklichkeitsverlust wurde in der geistigen Theoriebildung der Poststrukturalisten vorweggenommen und das Ergebnis ist: Statt objektiver Wahrheit haben wir die individualistische Perspektive. Vernunftgeleitetes Denken muß sich gegenüber dem Primat des Fühlens verteidigen.
Individuelle Befindlichkeiten (seit neuestem juristisch geadelt im „Selbstbestimmungsgesetz“) haben Vorrang vor der sinnlich erfahrbaren Wirklichkeit. Daß dabei technische Spielzeuge auf den Plan treten, ist der unterstützende und selbstverstärkende Effekt eines Trends, der schon länger anhält und seinen Kulminationspunkt wahrscheinlich noch nicht erreicht hat. Der solipsistische Individualismus bringt Narzißten hervor, für die das Abtauchen in virtuelle Welten der Inbegriff des „Selbstseins“ ist: Hier bin ich mein eigener Herr, hier kann ich die „störende“ Realität um mich herum ausblenden. Wirklich ist nur, wofür ich mich entscheide, was ich selbst erschaffe. Die Eliminierung der sinnlichen Erfahrung wird heute geradezu lustvoll betrieben, indem jeder nur noch mit seinem Smartphone unterwegs ist und unentwegt auf dieses kleine Viereck starrt, von dem er glaubt, daß es „die Welt“ abbildet, während er die wahre Welt um sich herum nicht mehr wahrnimmt.
Was er zu sehen bekommt, ist jedoch eine personalisierte, auf ihn zugeschnittene Interpretation der Welt, die mit einem Wisch ausgelöscht werden kann. Gesteigert wird die Einkapselung ins eigene Selbst noch durch die VR-Brille, die im Grunde nichts anderes ist, als ein Smartphone, das man sich vor die Augen schnallt. Das sprichwörtliche „jeder in seiner eigenen Blase“ wird hier auf teuflische Weise umgesetzt.
Ob es einen Weg zurück zu den natürlichen Welten gibt? Die Frage ist nicht leicht zu beantworten, denn was bedeutet „natürlich“ für den Menschen? Der Mensch ist darauf angewiesen, sich künstliche Welten zu erschaffen. Er könnte gar nicht anders überleben. Maschinen und Technik (angefangen beim einfachsten Werkzeug) haben es dem Menschen ermöglicht, sich als unspezialisierte Spezies an jede äußere Bedingung anzupassen. Sie haben ihn in den Stand versetzt, seine natürliche Umwelt zu verändern. Die Frage, die wir uns alle stellen sollten, lautet: In welchem Maße können wir die „künstlichen Welten“ für uns nutzen, ohne daß wir allzu großen Schaden nehmen an Leib und Seele?
Wichtig ist zu betonen, daß die Erschaffung „künstlicher Welten“ und mit ihr die Hervorbringung von Werkzeugen, Maschinen und Technik unmittelbar das Gefühl der Macht des Menschen über die materielle Welt verstärkt. All diese Dinge geben ihm die Gewißheit, nicht mehr abhängig von Natur, Schicksal, Gott zu sein. Manche lassen sich von der Zwangsvorstellung hinreißen, Gott selbst zu sein. Das Umschlagen in diesen Wahn ist unvermeidlich und in höchstem Maße fatal. Deshalb wünsche ich mir mehr Sachlichkeit und mehr Demut in der Handhabung der technischen Spielzeuge. Und vor allem: weniger Pseudoreligion.
Die ZEIT brachte kürzlich einen Podcast über den Konservatismus. Eine These darin: Durch Künstliche Intelligenz sei es bald nicht mehr möglich, „echte“ Bilder von künstlich erzeugten Bildern zu unterscheiden. Die „echten“ Bilder bräuchten folglich den Zusatz „echt“, um sie als solche erkennen zu können. Die Sehnsucht nach dieser Echtheit und nach den natürlichen Welten bezeichneten Ijoma Mangold und Lars Weisbrod in ihrem ZEIT-Podcast als eine äußerst sympathische Erscheinungsform des Konservatismus. Doch was bringt diese konservative Sehnsucht? Walter Benjamins Klage über den Verlust der Aura im „Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit“ von 1935 konnte den Siegeszug des Fernsehens und Internets doch auch nicht aufhalten …
Es geht gar nicht so sehr darum, eine Sache aufzuhalten, sondern ihr beschleunigtes Voranschreiten zu verzögern, damit wir Zeit gewinnen und uns mental und physisch auf die neuen Gegebenheiten einstellen können. Nur so können wir sicherstellen, daß wir von der technischen Entwicklung nicht überrollt und damit handlungsunfähig gemacht werden. Gelingt es uns, mit den technologischen Neuerungen bewußtseinsmäßig einigermaßen Schritt zu halten, erweisen sich diese als nicht mehr so bedrohlich und wir sind ihnen nicht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
Ich würde auch nicht sagen, daß die Klagen von Benjamin (und später von Neil Postman) folgenlos geblieben sind. Sicher haben sie den Siegeszug des Fernsehens und des Internets nicht aufhalten können, doch ihre Einwände sind nicht sang- und klanglos verhallt. Sie haben im Gegenteil sehr viel bewirkt. Auch die Stimmen vieler anderer Technikkritiker wie Günther Anders, Friedrich Georg Jünger, Heidegger, Lewis Mumford (um nur eine kleine Auswahl zu nennen) haben in erheblichem Maße dazu beigetragen, daß das Bewußtsein für die Schattenseiten und Gefahren technologischer Erfindungen geschärft wurde. Bei manch einem haben sie sicher zu einer Verhaltensänderung beigetragen. Sie führten auch dazu, daß sich in unserer Kultur eine grundsätzliche Skepsis gegenüber technischen Neuerungen ausgeprägt hat, die gemeinhin böswillig als „German Angst“ diffamiert wird, die aber doch als Qualitätsmerkmal für einen reifen Geist anzusehen ist. Technikskepsis und ‑kritik kann als Appell verstanden werden, mit diesen Dingen nicht leichtfertig umzugehen und sich nicht zu einem Kind zurückstufen zu lassen, das sich von den neuen Spielzeugen verführen und absorbieren läßt. Und dieser Appell wird wahrgenommen.
Wie „echte“ Bilder in Zukunft von „unechten“ unterschieden werden können, weiß ich nicht. Das Etikett „echt“ kann ja genauso leicht manipuliert werden wie das Bild selbst. Das Problem stellt sich allerorten, sogar in Hollywood, wo im letzten Jahr Leinwandstars in einen Streik traten, um vorzubeugen, daß sie von der KI ersetzt und als Schauspieler überflüssig gemacht werden. Ernstere Auswirkungen werden KI-generierte Bilder natürlich in militärischen Einsätzen haben sowie in der medialen Berichterstattung, die ja nicht erst seit gestern auf die „Wahrheit der Bilder“ setzt, statt auf die sprachliche Übermittlung von Nachrichten.
Zu sagen, daß Konservative von einer unstillbaren Sehnsucht nach dem Echten ergriffen seien, hieße, das Bedürfnis nach Wahrheit zu einer zwar sympathischen, aber bloß anekdotischen, sentimentalen und privaten Sache zu machen – das finde ich verheerend tiefgestapelt. Denn wenn es darum geht, den Sinn für das Reale zu bewahren, steht viel mehr auf dem Spiel als bloßes Sentiment. Es geht um das Denken an sich, und um die Frage, ob der Mensch grundsätzlich in der Lage ist, Wirklichkeit zu erkennen. An diese Fragen knüpft sich ein ganzer Rattenschwanz von philosophischen Erwägungen, die das Selbstverständnis unserer westlichen Gesellschaften geprägt haben. Das Beharren auf dem „Echten“ auf eine „sympathische Erscheinungsform“ herunterzubrechen, halte ich daher für eine üble Verharmlosung und Ablenkung davon, was auf dem Spiel steht: dem Verlust der Wirklichkeit. Und damit auch dem Verlust des Denkens.
Meinungsumfragen belegen eine große, weit über das konservative Spektrum hinausgehende Skepsis gegenüber Formen der „Künstlichen Intelligenz“. Sollten Konservative, Patrioten bzw. „Rechte“ dieses Thema daher offensiv besetzen?
Auf jeden Fall. Denn die Berichterstattung ist weitgehend einseitig, meist wird von den Segnungen der KI gesprochen, um sie den Leuten schmackhaft zu machen. Welche Gefahren, welche problematischen Implikationen mit ihr verbunden sind, wird in der Regel verschwiegen. Konservative sollten daher dieses Feld unbedingt belegen – aber das tun sie glücklicherweise schon – und auf die ethischen Risiken hinweisen, ebenso auf das inhumane Menschenbild, das die Grundlage dieser theoretischen Modelle ist. Auch hier gilt als oberste Priorität, den Menschen die Wahrheit zu sagen und sie nicht mit Illusionen und Wunschvorstellungen abzuspeisen. Ihr Leben sollte nicht den Geschäftsmodellen von Digitalkonzernen untergeordnet werden.
Die meisten Menschen haben zum Glück – immer noch – ein gesundes Empfinden dafür, was gut und richtig und gesund für sie ist. Versuchen Sie mal, die Leute für Pflegeroboter in Altenheimen zu begeistern! Es wird sich kaum jemand finden, der die Einführung der KI in intime Bereiche des menschlichen Lebens gut findet, in solche, in denen es um Verständigung und Verständnis, Nähe, Wärme und Aufmerksamkeit geht. Und doch finden immer häufiger in Pflegeeinrichtungen „Testläufe“ statt, in denen der Roboter Pepper mit seinem niedlichen Kindergesicht wehrlosen alten Leuten Lieder vorsingt und sie zum Mitmachen animiert. Der Protest dagegen bleibt aus.
Daß es eine große Unsicherheit, ja Ablehnung innerhalb der Bevölkerung gibt, ist die eine Sache, nur wird darauf keine Rücksicht genommen. Eine Vorgehensweise, die auch in allen anderen relevanten Entscheidungen und Weichenstellungen, die unsere politische und gesellschaftliche Realität bestimmen, zu beobachten ist. Fragt man die Leute nach dem Genderstern, nach noch mehr Migration, noch mehr Windrädern, wird sich garantiert eine Mehrheit dagegen aussprechen. Und dennoch werden diese Dinge mit enormer Energie und ohne Rücksicht auf Verluste durchgesetzt.
Gerade weil Konservative häufig als „ewiggestrig“ dargestellt werden, erklären sie gern mit Franz Josef Strauß, daß sie in Wahrheit „an der Spitze des Fortschritts marschieren“. Ist langfristig erfolgreich, wer sich dem Diktat der Modernität unterwirft, weil die technischen Dispositive die theorielastigen Diskurse längst überholt haben?
Es ist ja heutzutage beliebt, alles ins andere Extrem zu verkehren und das Gegenteil dessen zu behaupten, was wirklich ist – frei nach Orwells Leitspruch „Krieg ist Frieden. Freiheit ist Sklaverei. Unwissenheit ist Stärke“. Auch dies ein postmodernes Possenspiel.
Wenn Strauß behauptet, Konservative marschierten „an der Spitze des Fortschritts“, dann hat das einen solchen Wahrheitsgehalt, wie wenn Grüne behaupten, sie seien „die Fortschrittspartei“, dabei aber eine Politik der De-Industrialisierung und der Wissenschafts- und Forschungsfeindschaft betreiben. Einerseits gibt man sich naturnah, will „back to the roots“, unterstützt aber andererseits eine Politik der forcierten Digitalisierung („digitale Wende“), was ihnen von Liberalkonservativen zu Recht als widersprüchlich und heuchlerisch angekreidet wird. Die Masche der Grünen ist allerdings die, daß sie es verstehen, ihre anti-technische, anti-wissenschaftliche und anti-intellektuelle Haltung als „wahre Fortschrittlichkeit“ zu verkaufen. Ich weiß nicht, ob es sinnvoll wäre, von konservativer Seite her diese Taktik zu kopieren. Das Problem der konservativen und rechten Flanke ist, daß sie jedem neuen Konzept, das von Linken in die Welt gesetzt wird, hinterherhinken. Daß sie immer nur reagieren und über Stöckchen springen, die ihnen hingehalten werden.
Besser wäre es, wenn sich Konservative ihr eigenes Theoriegebäude, ihre eigene Agenda erstellten. Dies haben sie bisher nicht getan, weil sie – anders als linke und grüne Phantasten – nicht von Utopien ausgehen, die einen theoretischen Unterbau benötigen. Statt dessen berufen sie sich auf die Annahme, daß es genügt, immer auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben, wofür keine Theoriebildung nötig ist.
Verhängnisvoll fände ich es, wenn patriotische und rechte Kräfte dahergingen, die neuen Techniken für ihre eigenen politischen Ziele zu nutzen und deren Entwicklung zu diesem Zweck nach Kräften zu unterstützen. Dann nämlich wären wir von totalitären Strukturen wirklich nicht mehr weit entfernt, überdies wäre es ein Verrat an konservativen Grundüberlegungen. In China, aber auch in russischen Städten kann man beobachten, wie vorgeblicher Patriotismus und Bemühungen zum „Schutz des Landes“ die gesamte Einwohnerschaft einer gnadenlosen Kontrollmaschinerie unterwerfen.
Ich glaube übrigens nicht, daß die technischen Dispositive die theorielastigen Diskurse überholen, das mag vielleicht so ausschauen, doch ich tendiere dazu, es andersherum anzuschauen: Erst durch die postmodernen Theorien, die an Absurdität, Totalität und Radikalität schier nicht zu überbieten waren, wurde der Fundamentalismus der KI-Sekte erst möglich gemacht. Deshalb weise ich in meinem Buch darauf hin, daß es ausgerechnet die Blumenkinder des Hippie-Zeitalters waren, die mit ihren teils abstrusen Ideen und Utopien ausgerechnet im Silicon Valley ihr wichtigstes Betätigungsfeld fanden und daß sie nun dabei sind, ihre Phantasien im unbegrenzten Raum der Cyberwelt umzusetzen.
Sich dem Diktat der Modernität zu unterwerfen, würde ich nicht empfehlen, aber partout jede technische Neuerung zu verdammen oder sogar als Maschinenstürmer in Erscheinung zu treten, kann auch nicht die Lösung sein. An dieser Stelle ist es angebracht, Joseph Weizenbaum zu zitieren, den KI-Pionier und späteren „Ketzer der Informatik“, der in seinen Schriften immer wieder betonte, daß der technologische Fortschritt durchaus im Einklang mit menschlichen Werten möglich sei, nur dürfe Rationalität (also das mathematische Verständnis von Intelligenz) nicht von den anderen menschlichen Eigenschaften (wie Intuition) abgetrennt werden:
„Ich plädiere für den rationalen Einsatz von Naturwissenschaft und Technik, nicht für deren Mystifikation und erst recht nicht für deren Aufgabe. Ich fordere die Einführung eines ethischen Denkens in die naturwissenschaftliche Planung. Ich bekämpfe den Imperialismus der instrumentellen Vernunft, nicht die Vernunft an sich.“
Durch Künstliche Intelligenz entsteht vor allem auch Überwachung durch Staaten, Versicherungskonzerne und Tech-Giganten. Der Ökonom Mathias Binswanger prognostiziert sogar eine Zunahme der Bürokratie durch Künstliche Intelligenz. Wie kann es also gelingen, den Irrglauben, Technik mache alles einfacher, schneller und besser, zu überwinden?
Technik vereinfacht mechanische Abläufe, so daß es möglich ist, in der gleichen Zeit mehr herzustellen bzw. zu erreichen. Die Quantität nimmt zu, damit aber auch der Aufwand, das Mehr zu verwalten. Deshalb explodiert durch den Einsatz von gesteigerter Technologie, also KI, irgendwann der Managementaufwand und bläht die damit verbundenen Bürokratisierungsmaßnahmen auf. Außerdem steigert die Technisierung den Drang zum Perfektionismus: durch Effektivitäts- und Effizienzdruck ist man genötigt, noch mehr Aufwand zu betreiben, um das Perfekte noch mehr zu perfektionieren … Von Vereinfachung kann also, wenn man genau hinschaut, nicht die Rede sein. Ich glaube allerdings, daß es gar nicht so sehr die Vereinfachung ist, was die KI so anziehend macht, sondern das Gefühl der Zunahme von Macht, Kontrolle usw.
Lassen Sie mich noch einmal mit den Worten Joseph Weizenbaums sprechen:
„Die Naturwissenschaft hat dem Menschen Macht versprochen. Aber wie es so oft geschieht, wenn Menschen durch Versprechen von Macht verführt werden, ist der Preis, der von Anfang an und unterwegs andauernd bezahlt werden muss, Abhängigkeit und Ohnmacht.“
Daß es sich um einen Irrglauben handelt, wenn es heißt, Technik mache alles einfacher, schneller und besser, wissen die meisten Menschen. In diesem Wissen sollte man sie bestärken. Denn auch wenn die Abläufe schneller, einfacher und vermeintlich besser vonstatten gehen, so verliert der Mensch, der sich zu sehr der Technik anvertraut, wertvolle Fähigkeiten. Die Bequemlichkeit verleitet uns dazu, unsere besten Qualitäten abzugeben. Paul Virilio sprach davon, daß die Technik uns nicht zu Übermenschen, sondern paradoxerweise zu Behinderten mache, denn statt daß wir unsere Hände und Füße gebrauchen, uns bewegen, im Raum umherspazieren, sitzen wir bewegungslos vor einem Hebel oder einem Bildschirm und bewegen nur die Hand oder einen einzigen Finger, um uns oder das Außen in Bewegung zu bringen.
Am Ende führt uns der Drang, mittels Technik unendliche Macht zu erlangen, zu der schlimmsten Art von Unfreiheit, dann nämlich, wenn wir auch das Denken und das Entscheiden den Maschinen überlassen.
Frau Rex, vielen Dank für die spannenden Auskünfte!
Eva Rex: TechnOkkultismus. Heilserwartung und KI. Schnellroda 2024.
Dieser Beitrag erscheint auch in unserer nächsten Druckausgabe: Heft 22, Juni 2024. Hier bestellen!