Verein Journalismus und Wissenschaft

Patriotische Sprachpolitik

Unser Dezem­ber-Heft wird sich mit patrio­ti­scher Sprach­po­li­tik beschäf­ti­gen. Wirt­schaft ist zu gro­ßen Tei­len Psy­cho­lo­gie. Und wer poli­tisch aktiv ist, soll­te eben­so stets prü­fen, mit wel­chen Begrif­fen sich die eige­nen Posi­tio­nen gut ver­kau­fen lassen. 

Des­halb raten wir, sich inten­siv mit Framing-Stra­te­gien, Nar­ra­ti­ven und Schlüs­sel­be­grif­fen patrio­ti­scher Poli­tik aus­ein­an­der­zu­set­zen. Da unser Heft (Bit­te noch etwas Geduld!) dazu sehr umfang­reich gewor­den ist und wir nicht alles abdru­cken kön­nen, möch­ten wir vor­ab ein paar Bücher zu die­sem The­men­kom­plex emp­feh­len. Lesen Sie also zuerst die­se Grund­la­gen und danach unse­re dar­auf auf­bau­en­de Hand­rei­chung zur prak­ti­schen Umset­zung einer gelun­ge­nen Sprachpolitik:

Jür­gen Tra­bant hat mit „Sprach­däm­me­rung“ eine gran­dio­se Lie­bes­er­klä­rung an die deut­sche Spra­che ver­fasst, die zugleich ein lei­den­schaft­li­ches Plä­doy­er für Spra­chen­viel­falt ist und klar benennt, wel­che Ver­lus­te mit der Domi­nanz des „glo­ba­le­si­schen“ Eng­lisch einhergehen.

Der 80-jäh­ri­ge Tra­bant ist seit 1980 Pro­fes­sor für Sprach­wis­sen­schaft. Den Zau­ber der Spra­che sieht er dar­in, daß mit ihr eben nicht nur Din­ge benannt wer­den („Das ist ein Auto.“), son­dern Bil­der her­vor­ge­ru­fen wer­den und Welt­an­sich­ten ent­ste­hen. Die Spra­che fär­be das Den­ken, führt er aus. Damit spinnt er einen Faden wei­ter, den bereits Gott­fried Wil­helm Leib­niz und Wil­helm von Hum­boldt in der Hand hatten.

Hum­boldt war es, der im Zuge der preu­ßi­schen Refor­men erkann­te, daß die Spra­che nicht nur „die äußer­li­che Erschei­nung des Geis­tes der Völ­ker“ dar­stellt, son­dern der Geist einer Nati­on sich erst durch die ver­schie­de­nen Spra­chen mani­fes­tie­ren kann. Nur wer in sei­ner eige­nen Spra­che denkt, ent­wi­ckelt eine eige­ne Sicht auf die Welt.

Die Bevor­zu­gung der latei­ni­schen bzw. der fran­zö­si­schen Spra­che durch die geho­be­nen Schich­ten bis zu Beginn des 19. Jahr­hun­derts war daher ver­ständ­li­cher­wei­se vie­len deutsch den­ken­den Phi­lo­so­phen ein Dorn im Auge. Leib­niz ist hier sicher­lich als wich­tigs­ter Prot­ago­nist zu nen­nen. Spra­chen sah er als „ältes­te Denk­mä­ler des Men­schen­ge­schlechts“ an und beklag­te, wie nach dem Drei­ßig­jäh­ri­gen Krieg (1618–48) die deut­schen Eli­ten „zur Kul­tur der Sie­ger über­ge­lau­fen“ sind, erklärt Trabant.

Er bringt dabei den Mut auf, die zahl­rei­chen Par­al­le­len zur Gegen­wart deut­lich her­aus­zu­stel­len. Zum einen drif­te heu­te eine „anglo­pho­ne Aris­to­kra­tie“ aus unse­rer Sprach­na­ti­on ab. Wer etwas wer­den möch­te, kon­zen­trie­re sich auf Eng­lisch. Das fängt inzwi­schen teil­wei­se bereits im Kin­der­gar­ten an, geht wei­ter in der Schu­le, wo ein­zel­ne Fächer des Sach­un­ter­richts in der ers­ten Fremd­spra­che abge­hal­ten wer­den, und gip­felt an den Uni­ver­si­tä­ten, die immer mehr zur glo­ba­le­si­schen Ein­spra­chig­keit nei­gen. Zum ande­ren fin­det Tra­bant auch die rich­ti­gen Wor­te zur „natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Sprach­ver­gif­tung und der post­na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen ‚Sprach-Scham‘“.

Im Deutsch­land des 20. Jahr­hun­derts wur­de also lei­der mehr­fach die „sprach­li­che Wasch­ma­schi­ne“ ange­wor­fen. Das End­ergeb­nis ist jedoch nicht sau­ber und rein, son­dern farb­los. Und wer farb­los spricht, denkt ein­fäl­tig und meist nur in vor­ge­ge­be­nen Bah­nen. In die­ser ohne­hin sub­op­ti­ma­len Situa­ti­on kommt nun noch die „Can­cel Cul­tu­re“ hin­zu. Tra­bant nimmt sie als einen „sprach­li­chen Bür­ger­krieg“ wahr, wirft der Bun­des­re­gie­rung vor, ein „Sprach­rein­heits­mi­nis­te­ri­um“ eröff­net zu haben und gei­ßelt die „aktu­el­le per­ma­nen­te seman­ti­sche Revo­lu­ti­on“ als „ter­ro­ris­ti­schen Druck auf die Alltagssprache“.

Damit führt uns Tra­bant zu einer wei­te­ren Erkennt­nis von höchs­ter Rele­vanz: Er ver­tei­digt die unge­ho­bel­te Volks­spra­che. Sie habe ihre Daseins­be­rech­ti­gung, auch wenn sie schein­bar Unwah­res zum Aus­druck bringt. Wis­sen­schaft­lich betrach­tet, geht die Son­ne natür­lich nie­mals unter. Trotz­dem wis­sen wir alle, was mit einem Son­nen­un­ter­gang gemeint ist und soll­ten uns auch an ihm und die­sem Sprach­bild erfreu­en dür­fen. Geste­hen wir die­se Frei­heit der Spra­che nicht mehr zu, wird sie ste­ril und unfruchtbar.

Micha­el Esders hat den smar­ten Tota­li­ta­ris­mus des gegen­wär­ti­gen Sprach­re­gimes bereits scho­nungs­los deko­diert. Tra­bant macht das weni­ger aus­führ­lich, brennt dafür aber auf acht Sei­ten ein regel­rech­tes Feu­er­werk zu die­sem The­ma ab. Sei­ne hier geäu­ßer­te Kri­tik ist an Schär­fe kaum zu über­bie­ten. Es ist ein Wun­der, daß der C.H.Beck-Verlag das zuge­las­sen hat.

Viel­leicht war die­se not­wen­di­ge Zuspit­zung nur mög­lich, weil Tra­bant ansons­ten sehr fein­füh­lig und kennt­nis­reich die ver­schie­de­nen euro­päi­schen Sprach­kul­tu­ren beleuch­tet. Reno­va­tio Euro­pae bedeu­tet für ihn, Spra­chen zu erler­nen, um die dahin­ter­ste­hen­de Kul­tur und ver­schie­de­ne Welt­an­sich­ten zu bewah­ren. Die­se Bewah­rung ist kein reak­tio­nä­res Unter­fan­gen. Sie beher­bergt viel­mehr Wahr­hei­ten, die nur in einer bestimm­ten Spra­che zur Gel­tung kom­men kön­nen, und ermög­licht so ein spe­zi­fi­sches Denken.

Die Fra­ge nach dem vor­der­grün­di­gen prak­ti­schen Nut­zen einer Spra­che ist für Tra­bant indes zweit­ran­gig. Denn wer die­ses Argu­ment auf­ruft, redet der glo­ba­len Ver­ein­heit­li­chung das Wort. Eine Natur­wis­sen­schaft kann ihre Erkennt­nis­se mit einer glo­ba­le­si­schen Ein­heits­spra­che ver­mut­lich sogar am bes­ten gene­rie­ren, weil dadurch alle Wis­sen­schaft­ler welt­weit am Gedan­ken­aus­tausch teil­neh­men kön­nen. Eben­so gibt Tra­bant zu, daß es für die Phi­lo­so­phie pro­ble­ma­tisch ist, die Spra­chen­viel­falt zu berück­sich­ti­gen, weil dadurch eine abso­lu­te Wahr­heit aus­ge­schlos­sen bleibt. Die Spra­chen ste­hen der abso­lu­ten Wahr­heit im Weg.

Da Geis­tes­wis­sen­schaf­ten im Gegen­satz zu den Natur­wis­sen­schaf­ten dann am lehr­reichs­ten sind, wenn sie vie­le Sicht­wei­sen her­vor­brin­gen, ist das aber auch gut so. In die­sem Sin­ne läßt sich mit Heid­eg­ger ergän­zen: „Das Bedenk­lichs­te ist, daß wir noch nicht den­ken; immer noch nicht, obgleich der Welt­zu­stand fort­ge­setzt bedenk­li­cher wird.“ Obwohl Tra­bant Heid­eg­ger vor­wirft, die „His­to­ri­zi­tät“ der Spra­che ver­nach­läs­sigt zu haben, dürf­te er die­ser Sen­tenz zustimmen.

Er macht sich schließ­lich kei­ne Illu­sio­nen dar­über, wo wir ste­hen. „Wir leben ver­mut­lich im letz­ten his­to­ri­schen Moment der Spra­che, die dabei ist, in den nächt­li­chen Schacht des glo­ba­li­sier­ten Geis­tes, frü­her Welt­geist genannt, zu fal­len und dort auf ewig zu verschwinden.“

Jür­gen Tra­bant: Sprach­däm­me­rung. Eine Ver­tei­di­gung. C.H.Beck. 29,95 €. Mün­chen 2020. (Die­ser Bei­trag erschien zuerst im Manu­scrip­tum-Blog.)

 

Wei­te­re Literaturempfehlungen:

Micha­el Esders: Sprach­re­gime. Die Macht der poli­ti­schen Wahr­heits­sys­te­me. Lüding­hau­sen 2020.

Geor­ge Lakoff/Mark John­son: Leben in Meta­phern. Kon­struk­ti­on und Gebrauch von Sprach­bil­dern. Zehn­te Auf­la­ge. Hei­del­berg 2021.

Erik Lehnert/Karlheinz Weiß­mann: Leit­be­grif­fe. Band 1. Staats­po­li­ti­sches Hand­buch. Schnell­ro­da 2009.

Micha­el Oswald: Stra­te­gi­sches Framing. Eine Ein­füh­rung. 2. Auf­la­ge. Wies­ba­den 2022.

Robert Pfal­ler: Erwach­se­nen­spra­che. Über ihr Ver­schwin­den aus Poli­tik und Kul­tur. Frankfurt/Main 2017.

Mario Pri­cken: Think Out­side the Frame. Wie Sie durch Framing Wirk­lich­keit erzeu­gen. 82 smar­te Denk­stra­te­gien für Mar­ken, Medi­en und Poli­tik. Ber­lin 2019.

Tho­mas Pyc­zak: Tell me! Wie Sie mit Sto­rytel­ling über­zeu­gen. 3. Auf­la­ge. Bonn 2020.

Aktuelle Beiträge