Verein Journalismus und Wissenschaft

Die patriotische Wirtschaftspolitik Italiens

Lie­bes Team von Recher­che D, auf Face­book schrie­ben Sie am 22. Novem­ber, daß Ita­li­en kein Geld mehr von Deutsch­land bekom­men sol­le, nach­dem die ita­lie­ni­sche Regie­rung sich in ihrem neu­en Haus­halts­plan von dem von Deutsch­land und der EU gefor­der­ten Spar­kurs verabschiedete. 

Die­se For­de­rung erscheint mir jedoch unso­li­da­risch und auch des­halb falsch, weil ich Ita­li­ens Poli­tik, also den Anti-EU-Kurs und das Been­den der Austeri­tät als eine Art Not­wehr­hand­lung anse­he. Die Infra­struk­tur Ita­li­ens ist kom­plett ver­al­tet und sanie­rungs­be­dürf­tig – sie­he Brü­cken­ein­sturz bei Genua mit min­des­tens 42 Toten. Auch ande­re Inves­ti­tio­nen haben sich auf­ge­staut und die Arbeits­lo­sig­keit ist hoch.

Das Land kann eine Spar­po­li­tik auf unab­seh­ba­re Zeit schlicht nicht mehr ver­kraf­ten und Herr Sal­vi­ni wur­de vom ita­lie­ni­schen Volk genau für die­se Poli­tik gewählt, die er jetzt betreibt. Aus ita­lie­ni­scher Sicht ist sei­ne Poli­tik, auch die Wirt­schafts­po­li­tik, patrio­tisch. Durch das Strei­chen der deut­schen Gel­der für Ita­li­en wür­de man die ita­lie­ni­sche Regie­rung und das ita­lie­ni­sche Volk also für eine patrio­ti­sche Wirt­schafts­po­li­tik bestra­fen, die expli­zit auch Sie, lie­bes Recher­che D‑Team, für Deutsch­land fordern.

Für mich stellt sich die Situa­ti­on in der EU fol­gen­der­ma­ßen dar: Län­der wie Ita­li­en oder Grie­chen­land kön­nen wirt­schaft­lich nicht mit Län­dern wie Deutsch­land kon­kur­rie­ren. Sie müß­ten ihre Wäh­run­gen abwer­ten oder Deutsch­land sei­ne Wäh­rung auf­wer­ten, was aber nicht mög­lich ist, da alle die­se Län­der mit dem Euro eine gemein­sa­me Wäh­rung haben. Die­ses Pro­blem wird auf unab­seh­ba­re Zeit wei­ter­be­stehen, weil es unrea­lis­tisch ist, daß Grie­chen­land und Ita­li­en durch inne­ren Struk­tur­wan­del auf ein­mal kon­kur­renz­fä­hig wer­den – so weit sind wir uns einig, glau­be ich.

Aber die Lösung die­ses Struk­tur­pro­blems der Euro­zo­ne liegt mei­ner Mei­nung nach nicht dar­in, zurück­zu­keh­ren zu rein natio­na­len Wäh­rungs- und Wirt­schafts­räu­men, weil – davon bin ich über­zeugt – Euro­pa zukünf­tig nur als weit­ge­hend wirt­schaft­li­che Ein­heit stark genug sein wird, um auf dem Welt­markt gegen Gigan­ten wie Chi­na, Indi­en und die USA bestehen zu können.

Eine per­ma­nen­te Schul­den- und Trans­fer­uni­on, wie sie von den herr­schen­den Kräf­ten in der EU vor­be­rei­tet wird, sehe ich aller­dings eben­so­we­nig als geeig­ne­te Lösung an, da dies den Sta­tus quo zemen­tie­ren und sogar noch ver­schär­fen wür­de. Ärme­re Län­der wür­den sich dann dau­er­haft auf Kos­ten rei­cher Län­der durch­füt­tern las­sen. Rei­che Län­der wären dann gezwun­gen, die Früch­te der Arbeit ihrer Bür­ger ohne Gegen­leis­tung an ande­re Län­der zu ver­schen­ken. Das emp­fän­de ich als zutiefst ungerecht.

Wie die pas­sen­de Lösung nun aus­zu­se­hen hat, weiß ich nicht. Ich fin­de aber den Gedan­ken einer mehr­stu­fi­gen Wäh­rungs­uni­on nach dem Vor­bild des Bret­ton-Woods-Sys­tems für die Euro­zo­ne inter­es­sant, ver­bun­den mit der Abga­be von natio­na­ler Sou­ve­rä­ni­tät über bestimm­te, genau defi­nier­te Berei­che der Wirt­schafts­po­li­tik an euro­päi­sche Institutionen.

Eine pas­sen­de Lösung, die Euro­pa wirt­schaft­lich stark macht und gleich­zei­tig Gerech­tig­keit zwi­schen den Natio­nen sicher­stellt, kann mei­ner Ansicht nach jeden­falls nur gemein­sam mit den Neh­mer­staa­ten wie Ita­li­en und Grie­chen­land gefun­den werden.

(Der Absen­der die­ses Leser­briefs ist der Redak­ti­on bekannt, möch­te aber anonym bleiben.)

Bild: Matteo Sal­vi­ni, Minis­te­ro Dife­sa, flickr, CC BY-NC 2.0)

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