In der Theorie könnte der Euro sehr wohl funktionieren. Nur mit der Praxis hapert es. Was ist folglich zu tun? Sollten wir die Realität so lange mit dem Hammer malträtieren, bis alles eingeebnet ist, was früher vielfältig war? Oder sollten wir die Realität anerkennen und das Experiment Währungsunion beenden?
Zwischen diesen zwei Polen verläuft die Diskussion über den Euro und doch gibt es Tausende Wege in die Zukunft. Den bisherigen deutschen Weg skizzierte gestern in einem Vortrag beim ifo-Institut Dresden der Bundesbank-Vorstand Johannes Beermann (CDU). Ihm zufolge sollte „Solidität vor Solidarität“ stehen. Sprich: Alle Mitglieder der Eurozone sollen verantwortungsbewußt haushalten und ihre Schulden reduzieren. Erst dann können sie im Krisenfall Hilfe erwarten. Ist dies dagegen nicht gewährleistet, ist ein „Moral Hazard“ vorprogrammiert, wie dies die letzten Jahre schließlich auch bewiesen haben. Einzelne Staaten werden immer über ihre eigenen Verhältnisse leben, wenn sie die fiskalischen Risiken externalisieren können.
Fiskal-Diktatur oder Transferunion?
Genau das ist das Grundproblem des Euro: Die ärmeren Länder Europas geraten in Versuchung, auf Kosten der Reichen zu leben und wenig für ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu tun. Die Reichen jedoch müssen sich dies entweder gefallen lassen und die fremde Rechnung bezahlen oder sie setzen mehr oder weniger diktatorische Maßnahmen ein, um die Haushaltsdisziplin anderer Staaten zu erzwingen. Beermann und die Deutsche Bundesbank plädieren letztendlich dafür, Druck aufzubauen, dies aber, so gut es geht, zu kaschieren.
In den letzten Jahren hat dieser Ansatz das europäische Kartenhaus recht erfolgreich vor dem Zusammenbruch bewahrt. Gelingen konnte dies mit Hilfe einer beispiellosen Gelddruckorgie der Europäischen Zentralbank (EZB), worüber jedoch lediglich Zeit gewonnen wurde. Währenddessen ist die Verschuldung vielerorts gestiegen – und zwar beträchtlich: Im medial wenig beachteten Finnland zum Beispiel haben sich die Verbindlichkeiten in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. Aktueller Schuldenstand: 141 Milliarden Euro bei 5,5 Millionen Einwohnern.
Auch Beermann ist sich bewußt, daß es noch ein weiter Weg bis zur Verantwortungsunion ist, wenn diese denn überhaupt noch Chancen auf eine Realisierung haben sollte. Bis heute halten schließlich die wenigsten Euroländer die selbst aufgestellten Verschuldungskriterien ein. Laut Beermann sind es aktuell sieben von 19, wobei hier noch nicht einmal die großen Staaten mit gutem Beispiel vorangehen, sondern einige kleine mit eher geringer Bedeutung für den gesamten Währungsraum.
Demokratien neigen zur Kurzfristigkeit
Die Hauptursache freilich verschweigt der Notenbanker: In einer Demokratie dominiert immer die kurzfristige Zeitpräferenz gegenüber allen nachhaltigen Plänen, weil die nächste Wahl spätestens in fünf Jahren ansteht. Aus diesem Grund ist es illusorisch, innerhalb eines parlamentarischen Systems auf dauerhafte fiskalische Vernunft zu hoffen.
In Deutschland war diese im letzten Jahrzehnt nur deshalb möglich, weil Bundeskanzlerin Angela Merkel keine ernsthafte Konkurrenz zu fürchten hatte. Dies geht dann aber in jedem Fall zu Lasten der demokratischen Vielfalt. Sobald es hingegen wieder eine tatsächliche Konkurrenzsituation um die Regierung gibt, neigt der Amtsinhaber noch immer zum großzügigen Verteilen von Geschenken, um sich Zustimmung zu erkaufen. Dies läßt sich aktuell beispielsweise sehr schön im Freistaat Sachsen beobachten, wo Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) die AfD versucht zurückzudrängen, indem er sich gegenüber Lehrern, Polizisten und dem ländlichen Raum spendabel zeigt.
In Brüssel weiß man ebenfalls um diese Gesetzmäßigkeit. Wohl deshalb dürfte der Grundsatz „Solidität vor Solidarität“ das Nachsehen haben oder sich als Kampf gegen Windmühlen entpuppen. Beermann berichtete davon, daß auf Vorschlag der EU-Kommission der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) von einem zwischenstaatlichen zu einem europäisch-zentralstaatlichen Instrument ausgebaut werden soll. Merkel unterstützt diese Idee. Die Folge: Das Einstimmigkeitsprinzip wäre damit abgeschafft. Die Haupteinzahler bzw. Garantiegeber des permanenten Rettungsschirms könnten somit in die Minderheit geraten und gegen ihren Willen im Krisenfall zu Hilfeleistungen verpflichtet werden.
Abkehr vom deutschen Pfad
Dies würde die Transferunion vollenden und technokratische Idealisten wie Beermann ausbremsen. Statt die Eigenverantwortung der Staaten und Investoren für ihre Anlagen zu stärken sowie Geld nur gegen Verpflichtungen auszuhändigen, liefe dies zielgerichtet auf die befürchtete Vergemeinschaftung der Haftung hinaus. Der SPD geht jedoch selbst das noch nicht weit genug. Die von Bundesfinanzminister Olaf Scholz ins Gespräch gebrachte europäische Arbeitslosen-Rückversicherung kritisierte Beermann allerdings mit deutlichen Worten.
Selbst wenn es dazu vorerst nicht kommen sollte, deutet auf europäischer Ebene alles auf eine Abkehr vom deutschen Pfad hin. Die Gefahr ist daher groß, daß gerade nach den Erfolgen sozialpopulistischer Parteien in Südeuropa in den letzten Jahren (z.B. Fünf Sterne in Italien, Podemos in Spanien) eine Art versteckte Besänftigungsgebühr für den deutschen Steuerzahler fällig wird, um die Sozialsysteme im Süden auszubauen. In Zeiten der aktuellen Hochkonjunktur mag dies genauso wie die immensen Kosten für Asylbewerber als verschmerzbar erscheinen. Aber wehe es ziehen am Himmel der Weltwirtschaft dunkle Wolken auf! Nur mit dem Finger auf Trump zu zeigen, greift trotzdem zu kurz. Beiläufig erwähnte Beermann in seinem Vortrag, jeder Ökonom müsse wissen, daß die nächste Krise irgendwann gewiß komme. Und genau für dieses mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretende Szenario sind wir in keinster Weise gewappnet.
Vielleicht ist das aber auch gut so. Denn wie die Schweiz dieser Tage lehrt, läßt sich ein schlechtes Geldsystem nicht per Volksabstimmung abschaffen. Das dürfte erst nach einer fundamentalen Krise denkbar werden.
(Bild 1: Pixabay, Bild 2: Johannes Beermann, von: Frank Rumpenhorst, Bildarchiv Bundesbank)