Verein Journalismus und Wissenschaft

Drei Szenarien für Italien

Mit sei­nem Staats­putsch von oben sowie unter Miß­ach­tung aller demo­kra­ti­schen und ver­fas­sungs­recht­li­chen Gepflo­gen­hei­ten hat der ita­lie­ni­sche Prä­si­dent Ser­gio Mat­tar­el­la ganz Euro­pa in Auf­ruhr ver­setzt. Die Bör­sen reagier­ten ner­vös und der Groß­teil der Öffent­lich­keit erwar­tet, daß die Anti-Estab­lish­ment-Par­tei­en Lega Nord und Fünf Ster­ne die größ­ten Pro­fi­teu­re bei Neu­wah­len sein dürf­ten. Was bedeu­tet dies für Ita­li­en und den Euro? Drei Sze­na­ri­en sind aus unse­rer Sicht zu durchdenken.

Erstes Szenario: Tritt Italien nach einem deutlichen Sieg der Anti-Establishment-Parteien aus dem Euro aus, folgt unmittelbar danach der Staatsbankrott.

Indem Mat­tar­el­la im Allein­gang Pao­lo Savo­na als Wirt­schafts- und Finanz­mi­nis­ter ver­hin­der­te, weil die­ser euro-kri­tisch ein­ge­stellt sei, dürf­te er der gesam­ten Demo­kra­tie einen Bären­dienst erwie­sen haben. Die an den Tag geleg­te Igno­ranz gegen­über dem Wäh­ler­wil­len könn­te eine noch viel wei­ter­ge­hen­de Trotz­re­ak­ti­on des ita­lie­ni­schen Vol­kes aus­lö­sen. Soll­ten beim zu erwar­ten­den „Euro-Ple­bis­zit“ (NZZ) die Anti-Estab­lish­ment-Par­tei­en eine deut­li­che Mehr­heit errin­gen, könn­te es tat­säch­lich zum Ver­las­sen der Wäh­rungs­uni­on kommen.

Die unmit­tel­ba­re Fol­ge für Ita­li­en wäre aller­dings bru­tal: Mit 2,3 Bil­lio­nen Euro Schul­den (132 % des BIP) dürf­te der Staat nicht in der Lage sein, sich stän­dig fri­sches Kapi­tal zu besor­gen. Im Fal­le eines Wäh­rungs­aus­tritts wer­den die Zin­sen in die Höhe schnel­len und Ita­li­en in den Bank­rott trei­ben. Dies wür­de die Spa­rer und Ver­mö­gen­den rui­nie­ren. Das Aus­maß der Kon­se­quen­zen für die Euro-Zone ist eben­falls unab­seh­bar. Nicht zu ver­ges­sen: Ob es den ita­lie­ni­schen Anti-Estab­lish­ment-Par­tei­en gelingt, gemein­sam mit dem Volk durch ein Tal der Trä­nen zu wan­dern, darf bezwei­felt wer­den. Wahr­schein­lich­keit: 10 %.

Zweites Szenario: Sollten sich bei der Neuwahl die Anti-Establishment-Parteien durchsetzen, sich aber trotzdem für einen Verbleib im Euro-Raum entscheiden, dürfen Brüssel und Deutschland die Wahlgeschenke bezahlen.

Lega Nord und Fünf Ster­ne woll­ten bereits zur ers­ten Auf­la­ge ihrer Regie­rung einen Schul­den­er­laß in Höhe von 250 Mil­li­ar­den Euro gegen­über der Euro­päi­schen Zen­tral­bank (EZB) durch­set­zen. Zugleich waren gera­de die Fünf Ster­ne im Süden der Repu­blik äußerst erfolg­reich mit ihrer For­de­rung nach einem „bedin­gungs­lo­sen Grund­ein­kom­men“. Dazu wird es zwar nicht kom­men, aber selbst ein Aus­bau des Sozi­al­staa­tes mit einer sozia­len Min­dest­si­che­rung (ähn­lich wie Hartz IV), die ange­kün­dig­ten Steu­er­erleich­te­run­gen und ein Absen­ken des Ren­ten­al­ters bei zuneh­men­der Lebens­er­war­tung sind bei der aktu­ell man­gel­haf­ten Wett­be­werbs­fä­hig­keit der ita­lie­ni­schen Wirt­schaft und dem Schul­den­stand nicht zu finan­zie­ren.

Die EZB mit ihrer „Wha­te­ver it takes“-Politik und damit ganz wesent­lich der deut­sche Steu­er­zah­ler müß­ten folg­lich die Wahl­ge­schen­ke in Ita­li­en bezah­len, um zu einer gesichts­wah­ren­den Lösung für alle zu gelan­gen, die der nor­ma­le Bür­ger nur indi­rekt und gut dosiert zu spü­ren bekä­me. Soll­te es auf die­ses Sze­na­rio hin­aus­lau­fen, könn­ten sich Lega Nord und Fünf Ster­ne den­noch ver­spe­ku­liert haben, weil der Abnut­zungs­ef­fekt ihrer sozia­len Ver­spre­chun­gen in Regie­rungs­ver­ant­wor­tung gera­de unter den gegen­wär­ti­gen Bedin­gun­gen groß sein dürf­te. Wahr­schein­lich­keit: 50 %.

Drittes Szenario: Wenn die Anti-Establishment-Parteien die Neuwahlen gewinnen, aber danach ihr Programm nicht umsetzen, oder die italienischen Altparteien wider Erwarten erfolgreich sind, führt dies zur Entzauberung der EU-kritischen Kräfte und wäre ein Freifahrtschein für alle Eurokraten.

Mit der Ein­set­zung von Car­lo Cot­tar­el­li (1988–2013 beim IWF) haben Mat­tar­el­la und auch die EU Zeit gewon­nen, um eine Droh­ku­lis­se auf­zu­bau­en. Aus Sicht des Estab­lish­ments müs­sen die Ita­lie­ner bis zu den Neu­wah­len begrif­fen haben, daß die Ent­schei­dung für eine euro­kri­ti­sche Par­tei für sie extrem teu­er wird.

Soll­ten sich Lega Nord und Fünf Ster­ne davon beein­dru­cken las­sen, dro­hen sie zu zahn­lo­sen Tigern zu wer­den, denen die Umset­zung ihrer For­de­run­gen auf gan­zer Linie miß­lingt. Dies wäre ein schwe­rer Schlag für alle euro- und EU-kri­ti­schen Kräf­te in Euro­pa. Die Alt­par­tei­en dage­gen kämen mit einem klei­nen Schre­cken davon und könn­ten die Trans­fer­uni­on Schritt für Schritt ver­tie­fen, ohne sich all­zu dreis­te Ansa­gen aus Ita­li­en gefal­len las­sen zu müs­sen. Wahr­schein­lich­keit: 40 %.

Zusam­men­fas­sung: Hart- und Weich­wäh­rungs­kul­tu­ren zusam­men­zu­zwän­gen, ist der gro­ße Geburts­feh­ler des Euro, der nicht mit ein paar Reförm­chen kor­ri­giert wer­den kann. Der Euro zwingt die Län­der mit ehe­mals har­ter Wäh­rung wie Deutsch­land in eine Trans­fer­uni­on. Die Län­der mit ehe­mals wei­cher Wäh­rung wie Ita­li­en lei­den dage­gen unter der direk­ten Ver­gleich­bar­keit ihrer Wirt­schaft mit den Hart­wäh­rungs­län­dern und sind des­halb nicht aus­rei­chend wett­be­werbs­fä­hig. Um dies zu kom­pen­sie­ren, sind Spar­dik­ta­te und ver­ord­ne­te Struk­tur­re­for­men die logi­sche Folge.

Ein frei­heit­li­ches Euro­pa darf jedoch weder zu einer Trans­fer­uni­on mutie­ren noch öko­no­misch schwä­che­re Län­der zu bestimm­ten Maß­nah­men zwin­gen. Ein ein­fa­cher Aus­weg indes ist nicht in Sicht. Für die EU- und euro­kri­ti­schen Par­tei­en bringt dies die Schwie­rig­keit mit sich, daß sie die Über­brin­ger der schlech­ten Bot­schaf­ten sind. Das heißt: Bei Sze­na­rio eins kann Ita­li­en nur lang­fris­tig pro­fi­tie­ren, da es mit eige­ner Wäh­rung ver­mut­lich wett­be­werbs­fä­hi­ger sein könn­te. Hier aber bleibt die Fra­ge, ob die Par­tei­en, die den Mut dazu haben, den Gang durch das vor­he­ri­ge Tal der Trä­nen über­le­ben. Für Lega Nord und Fünf Ster­ne wird es jetzt folg­lich dar­auf ankom­men, einen lang­fris­ti­gen Plan zu schmieden.

Aus deut­scher und patrio­ti­scher Per­spek­ti­ve gibt es sicher­lich vie­le Punk­te, die einem bei der Lega Nord und Fünf-Ster­ne-Bewe­gung sym­pa­thisch erschei­nen. So könn­te eine Anti-Estab­lish­ment-Regie­rung in Ita­li­en end­lich wir­kungs­voll die Süd­gren­ze Euro­pas schüt­zen und gal­li­schen Wider­stand gegen die Brüs­se­ler Tech­no­kra­ten­rie­ge leis­ten. Den­noch wäre es töricht, die Grenz­si­che­rung aus­ge­rech­net einem hoff­nungs­los über­schul­de­ten Staat über­las­sen zu wollen.

Glei­ches gilt für die Zukunft des Euro: Daß ein Neh­mer­land ein Ende mit Schre­cken ein­lei­tet, ist sehr unwahr­schein­lich, aber natür­lich nicht aus­ge­schlos­sen. Des­halb muß es Deutsch­land anstre­ben, aus dem Euro selbst aus­zu­tre­ten. Eine Trans­fer­uni­on löst sich meis­tens nicht dadurch auf, daß die Pro­fi­teu­re auf ein­mal nicht mehr pro­fi­tie­ren wol­len. Viel­mehr zei­gen sich die wirk­lich ernst­zu­neh­men­den Zer­falls­er­schei­nun­gen erst dann, wenn die Geber­län­der die Faxen dicke haben.

Die patrio­ti­schen Bewe­gun­gen in Euro­pa dür­fen die­se unver­meid­ba­ren Gra­ben­kämp­fe jedoch nicht eska­lie­ren las­sen, son­dern soll­ten stets die gemein­sa­men Inter­es­sen der Bewah­rung des abend­län­di­schen Erbes und des Schut­zes unse­res Kon­ti­nents vor Mas­sen­ein­wan­de­rung voranstellen.

(Bild: Matteo Sal­vi­ni, Lega Nord, Euro­pean Par­lia­ment, flickr, CC BY-NC-ND 2.0)

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