Verein Journalismus und Wissenschaft

Offener Brief an Joe Kaeser

Lie­ber Joe Kaeser,

Sie haben sich ges­tern auf Twit­ter mit schar­fer Kri­tik an der AfD-Bun­des­tags­frak­ti­ons­vor­sit­zen­den Ali­ce Wei­del zu Wort gemel­det. Die­se hat­te in ihrer Rede zur Haus­halts­de­bat­te aus­ge­führt, daß „Kopf­tuch­mäd­chen“ und „ali­men­tier­te Mes­ser-Män­ner“ unse­ren Wohl­stand nicht sichern wer­den, son­dern ihn gefährden.

Die­se Zuspit­zung war natür­lich an die eige­nen Par­tei­an­hän­ger an den Bild­schir­men adres­siert. Wir leben schließ­lich in einer Fas­sa­den­de­mo­kra­tie. Die Debat­ten in den Par­la­men­ten die­nen kei­nes­falls der Wahr­heits- und Kom­pro­miß­fin­dung zwi­schen den Par­tei­en, son­dern sind pures Thea­ter. Das wis­sen Sie genau­so gut wie ich.

Es ist auch Ihr gutes Recht, sich an die­ser Thea­ter­auf­füh­rung mit einer eige­nen poin­tier­ten Mei­nung zu betei­li­gen, aber aus mei­ner Sicht schie­ßen Sie weit übers Ziel hin­aus und stel­len damit auch die Leis­tun­gen Ihrer eige­nen Mit­ar­bei­ter in Deutsch­land in Fra­ge. Daher die­ser offe­ne Brief!

Daß Sie mit Ihrem ers­ten Satz „Lie­ber Kopf­tuch­mä­del als Bund Deut­scher Mädel“ die Nazi­keu­le zum Ein­satz brin­gen, die immer in größ­ter argu­men­ta­ti­ver Not geschwun­gen wird, ver­zei­he ich Ihnen sogar. Geschenkt! Ihre poli­ti­sche Kor­rekt­heit inter­es­siert mich nicht. Aber glau­ben Sie ernst­haft, daß zuge­wan­der­te, mus­li­mi­sche Frau­en mehr für den deut­schen Wohl­stand leis­ten kön­nen als „unse­re Mädels“?

Als Vater von drei klei­nen Töch­tern emp­fin­de ich dies als ein mie­ses Foul, weil wir abseits der ver­kom­me­nen und kaputt­ge­spar­ten staat­li­chen Ein­rich­tun­gen viel Mühe und Zeit für die Bil­dung unse­res Nach­wuch­ses auf­wen­den (ohne Tablets!).

Auch wenn ich eine öko­no­mis­ti­sche Spra­che ableh­ne, so bin ich den­noch davon über­zeugt, daß unse­re Frau­en unser Kapi­tal sind. Damit mei­ne ich in ers­ter Linie gar nicht mal ihre Leis­tun­gen in den Unter­neh­men unse­res Lan­des, son­dern eben­so die unter­schätz­te und viel­fach belä­chel­te Arbeit zu Hau­se und in der Erzie­hung. Deutsch­land braucht mehr Kin­der. Wür­de uns eine demo­gra­phi­sche Wen­de gelin­gen, müß­ten wir uns um unse­ren Wohl­stand deut­lich weni­ger Sor­gen machen.

Es ist kei­nes­wegs so, wie Sie sug­ge­rie­ren, daß „die Haupt-Quel­le des deut­schen Wohl­stan­des“ im Export (in Ihren Wor­ten „in der Welt“) liegt. Sie ver­wech­seln da Quel­le und Mün­dung. Erst müs­sen wir flei­ßi­ge, inno­va­ti­ve und hoch­qua­li­fi­zier­te Arbeits­kräf­te her­vor­brin­gen. Ist dies geleis­tet, wozu wir gera­de unse­re Frau­en und ein intak­tes Bil­dungs­sys­tem benö­ti­gen, kann in der lan­gen, spe­zi­fisch deut­schen Tra­di­ti­on der diver­si­fi­zier­ten Qua­li­täts­pro­duk­ti­on wert­vol­le Export­wa­re ent­ste­hen, die Sie dann gern in aller Welt ver­kau­fen dür­fen. Dage­gen hat über­haupt nie­mand etwas ein­zu­wen­den, solan­ge Sie den­je­ni­gen den nöti­gen Respekt ent­ge­gen­brin­gen, die in der Fabrik oder mit ihrem klu­gen Köpf­chen vor­her geschuf­tet haben.

Herr Kae­ser, ich bin mir sicher, daß Sie die­se bana­len Zusam­men­hän­ge ken­nen. Ich stel­le mir des­halb die Fra­ge, war­um Sie sich mit so einem dum­men Tweet mein­ten, äußern zu müs­sen. Lei­der habe ich auch eine Ver­mu­tung, die, soll­te sie zutref­fen, Ihr Pos­ting tat­säch­lich in einem ande­ren Licht erschei­nen läßt.

Unlängst las ich in einer Zei­tung – ich glau­be, es war die Wirt­schafts­wo­che –, daß Sie nur solan­ge in der Kanz­ler­ma­schi­ne von Ange­la Mer­kel mit­rei­sen dürf­ten, wie Sie­mens mehr als 100.000 Ange­stell­te in Deutsch­land hat. Sie sind da noch knapp drü­ber, aber die Umwäl­zun­gen in der Energie‑, Digi­tal- und Mobi­li­täts­bran­che stel­len Sie vor eine schwe­re Pro­be. Anschei­nend hal­ten Sie es daher für eine geeig­ne­te Stra­te­gie, sich das Ver­trau­en der Bun­des­re­gie­rung über poli­ti­schen Oppor­tu­nis­mus zu erkau­fen. Ganz unab­hän­gig vom Wohl­wol­len der Exe­ku­ti­ve sind Sie jeden­falls nicht. In den letz­ten 20 Jah­ren erhiel­ten Sie 1,5 Mil­li­ar­den Euro an Sub­ven­tio­nen und Auf­trä­gen vom Bund.

Ehr­lich gesagt, kann ich nicht ver­ste­hen, war­um die­se Regie­rung meint, aus­ge­rech­net den erfolg­reichs­ten Unter­neh­men auch noch mit Sub­ven­tio­nen unter die Arme grei­fen zu müs­sen. Wäre ich Kanz­ler, wozu es nie kom­men wird, kei­ne Sor­ge, wür­den Sie kei­nen ein­zi­gen Cent mehr an För­der­mit­teln erhal­ten. Statt des­sen wür­de ich das in die Tat umset­zen, wovon alle Par­tei­en nur reden: den Mit­tel­stand unter­stüt­zen und nicht län­ger die Großunternehmen.

Das aber nur am Ran­de. Ich befürch­te näm­lich, Sie könn­ten auch mit Unter­stüt­zung der Bun­des­re­gie­rung auf Ihrer Schleim­spur aus­rut­schen. Noch ein­mal 1,5 Mil­li­ar­den Euro für die nächs­ten 20 Jah­re wer­den Ihnen nicht hel­fen, wenn Sie dar­an schei­tern, Ihre eige­nen Mit­ar­bei­ter ver­nünf­tig wei­ter­zu­bil­den. Mein beschei­de­ner Tip daher an Sie: Erle­di­gen Sie erst ein­mal Ihre Haus­auf­ga­ben und mischen Sie sich nur in die Poli­tik ein, wenn es dar­um geht, die Inter­es­sen Ihrer Mit­ar­bei­ter zu Gehör zu bringen.

Damit kön­nen wir abschlie­ßend noch ein­mal auf die Rede von Ali­ce Wei­del zu spre­chen kom­men. Haben Sie die­se über­haupt kom­plett ange­hört oder gele­sen? Ich kann es mir nicht vor­stel­len. Ansons­ten wäre Ihnen auf­ge­fal­len, daß sie sehr Wich­ti­ges zur Aus­ga­ben­mo­ral des Staa­tes sag­te. Jeder über­zeug­te Anhän­ger der Markt­wirt­schaft hat ganz im Sin­ne Lud­wig Erhards dem Staat auf die Fin­ger zu klop­fen, wenn die­ser das Steu­er­geld der Bür­ger zum Fens­ter her­aus­schmeißt. Da es inklu­si­ve aller Sozi­al­ab­ga­ben hier­bei auch um knapp die Hälf­te des Loh­nes Ihrer Mit­ar­bei­ter geht, soll­ten Sie viel­leicht ein­mal dar­über nach­den­ken, ob Sie sich auf der rich­ti­gen Sei­te posi­tio­niert haben.

Mit freund­li­chen Grüßen,

Felix Men­zel
Recher­che Dres­den. Denk­fa­brik für Wirtschaftskultur

 

PS: Auf der Sie­mens-Web­site habe ich den Satz gefun­den: „Sie­mens und Deutsch­land sind untrenn­bar mit­ein­an­der ver­bun­den.“ Ange­sichts von 77 % Aus­lands­um­satz und 66 % nicht­deut­schen Aktio­nä­ren ist das natür­lich mehr Schein als Sein. Den­noch wür­de ich mir wün­schen, daß Sie als glo­bal agie­ren­des Unter­neh­men auf Ihrer Tra­di­ti­on auf­bau­en und das Bewußt­sein in sich tra­gen, daß ohne Her­kunft und Iden­ti­tät jede wirt­schaft­li­che Unter­neh­mung jeg­li­chen Sinn ver­liert. Nicht die Hül­le gilt es zu kon­ser­vie­ren, son­dern den Kern.

(Bild: Joe Kae­ser, FORTUNE Glo­bal Forum, flickr, CC BY-NC-ND 2.0)

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