Lieber Joe Kaeser,
Sie haben sich gestern auf Twitter mit scharfer Kritik an der AfD-Bundestagsfraktionsvorsitzenden Alice Weidel zu Wort gemeldet. Diese hatte in ihrer Rede zur Haushaltsdebatte ausgeführt, daß „Kopftuchmädchen“ und „alimentierte Messer-Männer“ unseren Wohlstand nicht sichern werden, sondern ihn gefährden.
Diese Zuspitzung war natürlich an die eigenen Parteianhänger an den Bildschirmen adressiert. Wir leben schließlich in einer Fassadendemokratie. Die Debatten in den Parlamenten dienen keinesfalls der Wahrheits- und Kompromißfindung zwischen den Parteien, sondern sind pures Theater. Das wissen Sie genauso gut wie ich.
Es ist auch Ihr gutes Recht, sich an dieser Theateraufführung mit einer eigenen pointierten Meinung zu beteiligen, aber aus meiner Sicht schießen Sie weit übers Ziel hinaus und stellen damit auch die Leistungen Ihrer eigenen Mitarbeiter in Deutschland in Frage. Daher dieser offene Brief!
Lieber „Kopftuch-Mädel“ als „Bund Deutscher Mädel“.
Frau Weidel schadet mit ihrem Nationalismus dem Ansehen unseres Landes in der Welt. Da, wo die Haupt-Quelle des deutschen Wohlstands liegt. #Bundestag #Bundesregierung #steffenseibert— Joe Kaeser (@JoeKaeser) 16. Mai 2018
Daß Sie mit Ihrem ersten Satz „Lieber Kopftuchmädel als Bund Deutscher Mädel“ die Nazikeule zum Einsatz bringen, die immer in größter argumentativer Not geschwungen wird, verzeihe ich Ihnen sogar. Geschenkt! Ihre politische Korrektheit interessiert mich nicht. Aber glauben Sie ernsthaft, daß zugewanderte, muslimische Frauen mehr für den deutschen Wohlstand leisten können als „unsere Mädels“?
Als Vater von drei kleinen Töchtern empfinde ich dies als ein mieses Foul, weil wir abseits der verkommenen und kaputtgesparten staatlichen Einrichtungen viel Mühe und Zeit für die Bildung unseres Nachwuchses aufwenden (ohne Tablets!).
Auch wenn ich eine ökonomistische Sprache ablehne, so bin ich dennoch davon überzeugt, daß unsere Frauen unser Kapital sind. Damit meine ich in erster Linie gar nicht mal ihre Leistungen in den Unternehmen unseres Landes, sondern ebenso die unterschätzte und vielfach belächelte Arbeit zu Hause und in der Erziehung. Deutschland braucht mehr Kinder. Würde uns eine demographische Wende gelingen, müßten wir uns um unseren Wohlstand deutlich weniger Sorgen machen.
Es ist keineswegs so, wie Sie suggerieren, daß „die Haupt-Quelle des deutschen Wohlstandes“ im Export (in Ihren Worten „in der Welt“) liegt. Sie verwechseln da Quelle und Mündung. Erst müssen wir fleißige, innovative und hochqualifizierte Arbeitskräfte hervorbringen. Ist dies geleistet, wozu wir gerade unsere Frauen und ein intaktes Bildungssystem benötigen, kann in der langen, spezifisch deutschen Tradition der diversifizierten Qualitätsproduktion wertvolle Exportware entstehen, die Sie dann gern in aller Welt verkaufen dürfen. Dagegen hat überhaupt niemand etwas einzuwenden, solange Sie denjenigen den nötigen Respekt entgegenbringen, die in der Fabrik oder mit ihrem klugen Köpfchen vorher geschuftet haben.
Herr Kaeser, ich bin mir sicher, daß Sie diese banalen Zusammenhänge kennen. Ich stelle mir deshalb die Frage, warum Sie sich mit so einem dummen Tweet meinten, äußern zu müssen. Leider habe ich auch eine Vermutung, die, sollte sie zutreffen, Ihr Posting tatsächlich in einem anderen Licht erscheinen läßt.
Unlängst las ich in einer Zeitung – ich glaube, es war die Wirtschaftswoche –, daß Sie nur solange in der Kanzlermaschine von Angela Merkel mitreisen dürften, wie Siemens mehr als 100.000 Angestellte in Deutschland hat. Sie sind da noch knapp drüber, aber die Umwälzungen in der Energie‑, Digital- und Mobilitätsbranche stellen Sie vor eine schwere Probe. Anscheinend halten Sie es daher für eine geeignete Strategie, sich das Vertrauen der Bundesregierung über politischen Opportunismus zu erkaufen. Ganz unabhängig vom Wohlwollen der Exekutive sind Sie jedenfalls nicht. In den letzten 20 Jahren erhielten Sie 1,5 Milliarden Euro an Subventionen und Aufträgen vom Bund.
Ehrlich gesagt, kann ich nicht verstehen, warum diese Regierung meint, ausgerechnet den erfolgreichsten Unternehmen auch noch mit Subventionen unter die Arme greifen zu müssen. Wäre ich Kanzler, wozu es nie kommen wird, keine Sorge, würden Sie keinen einzigen Cent mehr an Fördermitteln erhalten. Statt dessen würde ich das in die Tat umsetzen, wovon alle Parteien nur reden: den Mittelstand unterstützen und nicht länger die Großunternehmen.
Das aber nur am Rande. Ich befürchte nämlich, Sie könnten auch mit Unterstützung der Bundesregierung auf Ihrer Schleimspur ausrutschen. Noch einmal 1,5 Milliarden Euro für die nächsten 20 Jahre werden Ihnen nicht helfen, wenn Sie daran scheitern, Ihre eigenen Mitarbeiter vernünftig weiterzubilden. Mein bescheidener Tip daher an Sie: Erledigen Sie erst einmal Ihre Hausaufgaben und mischen Sie sich nur in die Politik ein, wenn es darum geht, die Interessen Ihrer Mitarbeiter zu Gehör zu bringen.
Damit können wir abschließend noch einmal auf die Rede von Alice Weidel zu sprechen kommen. Haben Sie diese überhaupt komplett angehört oder gelesen? Ich kann es mir nicht vorstellen. Ansonsten wäre Ihnen aufgefallen, daß sie sehr Wichtiges zur Ausgabenmoral des Staates sagte. Jeder überzeugte Anhänger der Marktwirtschaft hat ganz im Sinne Ludwig Erhards dem Staat auf die Finger zu klopfen, wenn dieser das Steuergeld der Bürger zum Fenster herausschmeißt. Da es inklusive aller Sozialabgaben hierbei auch um knapp die Hälfte des Lohnes Ihrer Mitarbeiter geht, sollten Sie vielleicht einmal darüber nachdenken, ob Sie sich auf der richtigen Seite positioniert haben.
Mit freundlichen Grüßen,
Felix Menzel
Recherche Dresden. Denkfabrik für Wirtschaftskultur
PS: Auf der Siemens-Website habe ich den Satz gefunden: „Siemens und Deutschland sind untrennbar miteinander verbunden.“ Angesichts von 77 % Auslandsumsatz und 66 % nichtdeutschen Aktionären ist das natürlich mehr Schein als Sein. Dennoch würde ich mir wünschen, daß Sie als global agierendes Unternehmen auf Ihrer Tradition aufbauen und das Bewußtsein in sich tragen, daß ohne Herkunft und Identität jede wirtschaftliche Unternehmung jeglichen Sinn verliert. Nicht die Hülle gilt es zu konservieren, sondern den Kern.
(Bild: Joe Kaeser, FORTUNE Global Forum, flickr, CC BY-NC-ND 2.0)