Mit dem AfD-Bundestagsabgeordneten Hansjörg Müller haben wir über den Wirecard-Skandal gesprochen. Was lief hier schief? Und wie kann es sein, daß ein Kleinunternehmer pedantisch überprüft wird, während bei einem DAX-Konzern fast zwei Milliarden Euro in der Bilanz unhinterfragt bleiben.
Recherche D: Lieber Herr Müller, seit einigen Tagen kocht der Skandal um den Bezahldienstleister Wirecard mit täglich neuen Meldungen über. Was ist passiert?
Hansjörg Müller: Kurz gesagt: In der Bilanz von Wirecard sind 1,9 Milliarden Euro verschwunden. Den Schaden haben vor allem die Aktionäre und kreditgebenden Banken. Deutschlands große Hoffnung auf ein zweites bedeutendes Digitalunternehmen nach SAP ist wohl geplatzt. Mittlerweile hat Wirecard Insolvenz angemeldet. Besonders skandalös ist, dass dabei alle Kontrollinstanzen versagt haben.
Wie konnte das passieren?
Einerseits hat die BaFin Teile des Geschäfts von Wirecard nicht kontrolliert. Die BaFin hat in der Vergangenheit sogar Journalisten angezeigt, die auf einen möglichen Bilanzbetrug bei Wirecard hinwiesen. Andererseits hat die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young – wenn man es gutwillig formulieren möchte – geschlafen und scheinbar über Jahre nichts gemerkt. Es gibt mittlerweile aber auch Stimmen, die eher sagen würden, dass EY nichts gemerkt haben wollte.
Was meinen diese Stimmen damit?
Nun, selten wird die Hand gebissen, die einen füttert. Die Wirtschaftsprüfer werden von den Firmen, welche sie prüfen sollen, beauftragt und bezahlt. Da möchte man seinen Auftraggeber nur ungern verärgern und ist wohlwollender. Über Jahre hat EY die Jahresabschlüsse von Wirecard brav testiert, ohne Anstalten bezüglich der begrenzten Dokumentation der in Asien angeblich deponierten Milliarden zu machen. Erst als in den letzten Wochen starker medialer Druck und eine kritische Berichterstattung erhebliche Zweifel an der Existenz dieser Gelder aufbrachte, besann sich EY zum ersten Mal und verweigerte das Testat für den Jahresbericht 2019. Diese Umstände und Geldmengen werfen schon erhebliche Zweifel an Zweck und Lauterkeit dieser Prüfungen auf.
Wieso werden dann nicht die Prüfer haftbar gemacht?
Das Problem ist, dass die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften nur für maximal vier Millionen haften müssen. Das ist natürlich nichts, in Hinblick auf die fehlenden 1,9 Milliarden Euro. Und es ist ebenfalls nichts, angesichts der Mandate, die vor allem die sogenannten Big Four, also die vier größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, an sich ziehen. Implizit führt diese Regelung dazu, dass größere Wirtschaftsprüfungsgesellschaften eher entstehen oder überleben. Macht eine kleine Gesellschaft solch einen Fehler, ist sie pleite. Die Big Four können sich das locker leisten. Die Haftungshöhe für eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft sollte an deren Umsatzgröße gekoppelt werden, damit solche mutmaßlich vorsätzlichen Fehler richtig weh tun.
In Ihrem Wirtschaftskonzept „Soziale Marktwirtschaft statt internationaler Finanzoligarchie – heimische Wirtschaft zuerst!“ haben Sie schon deutliche Kritik an den Big Four geäußert. Wieso?
Das hat mehrere Gründe. Besonders bedenklich ist, dass die Big Four den Großteil der finanziell interessanten Prüfaufträge erhalten. Das führt zu Marktstrukturen eines Oligopols mit den bekannten Folgen für Qualität und Preis. Hinzu kommt, dass die Big Four oft mehrere Akteure einer Branche prüfen. Damit gelangen sie zu einem höheren Informationsstand als die einzelnen Branchenteilnehmer. Dieses durch Prüfungen erworbene Wissen verkaufen sie dann wieder den eigenen Kunden oder auf indirekte Weise auch ihren Wettbewerbern. Gleichzeitig dient dieser Wissensvorsprung beim politischen Lobbying, das dazu genutzt wird, um Gesetze im eigenen Sinn zu beeinflussen.
Ihre Argumente hören sich etwas nach Kapitalismuskritik an …
Überhaupt nicht! Ich bin ein glühender Verfechter der sozialen Marktwirtschaft. Mir geht es darum, dass der Staat sinnvolle Rahmenbedingungen setzt, in deren Grenzen sich die Kräfte des Marktes frei entfalten können. Wesentliche Voraussetzung damit der Markt funktionieren kann, ist ein sinnvoll geregelter Wettbewerb. Der vorherrschende Zustand ist katastrophal. Die vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften teilen 67% des Weltmarktes auf. Unglaublich, aber wahr, sie beherrschen gemeinsam 67% des Weltmarktes.
Unter diesen Bedingungen eines weltweiten Oligopols kann es keinen funktionierenden Wettbewerb mehr geben. Oligopole sind dem Wettbewerb nahezu immer abträglich, vor allem in der genannten Form: Preise steigen, Qualität sinkt. Genau das sehen wir seit langem in dieser Branche. Deswegen brauchen wir dringend eine Reform des Wirtschaftsprüfungswesens, damit Konkurrenz entstehen kann, Unternehmensgröße nicht implizit gesetzlich bevorteilt wird und Interessenskonflikte im Sinne einer sachgemäßen Prüfung reduziert werden.
Es war übrigens nicht der erste Fehltritt dieser Branche. Auch in der Finanzkrise haben die Wirtschaftsprüfungen kolossal versagt. Und nebenher schreiben sie als Lobbyisten in Brüssel auch noch an denjenigen Gesetzen mit, von denen sie profitieren und die ihre Wettbewerber benachteiligen.
Vielen Dank für die Auskünfte!
Hansjörg Müller ist außenwirtschaftspolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion. Für Recherche D, Heft 9, schrieb er einen Beitrag über die Auswirkungen der Corona-Krise.
(Bild: Hansjörg Müller, von: Julia Fromm, blende 11 Fotografen, Stefan Schmerold, blende 11 Fotografen, Wikipedia, CC BY-SA 3.0)