Gleich vorweg: Man muß Die Seele bei der Arbeit von Franco „Bifo“ Berardi äußerst selektiv lesen. Die marxistische Theoriearbeit des italienischen Philosophen ist verzichtbar, nervig und das übliche linke Geschwurbel. Jene deskriptiven Passagen des Buches, die sich mit der Realität der digitalen Arbeitswelt befassen, sind dagegen sehr erhellend.
Berardi stellt die spannende Frage, warum der Digitalarbeiter sich freiwillig ausbeuten läßt. Zum einen könnte man dies mit der „Gamification“ der Tätigkeiten erklären. Wer am Bildschirm ein neues Produkt entwirft, eine Grafik bastelt oder einen Text schreibt, kann sich im Gegensatz zum Fließbandarbeiter kreativ austoben. Das verführt dazu, länger als eigentlich geplant zu arbeiten. Die Grenze zwischen Arbeitszeit und Freizeit verschwimmt so.
Mit dieser einfachen und plausiblen Erklärung gibt sich Berardi allerdings nicht zufrieden. Er bohrt tiefer: „Die Gründe für unsere neue Liebe zur Arbeit lassen sich nicht nur in der materiellen Verarmung finden, die sich aus dem Zusammenbruch der sozialen Sicherheiten ableiten lässt, sondern auch in der Verarmung der Existenz und Kommunikation.“ An Stellen wie dieser klingt Berardi fast schon wie ein Konservativer. Weil „das tägliche Leben einsam und ermüdend“ geworden sei und Halt gebende Gemeinschaften gerade in den Metropolen unwiderruflich zerbrochen sind, flüchtet sich der moderne Nomade in die Arbeit.
Das passe deshalb so gut, weil die kognitive Arbeit „im Wesentlichen eine Kommunikationsarbeit“ sei. Der Verlust intakter zwischenmenschlicher Beziehungen wird also kompensiert durch Netzwerkarbeit. „Doch es ist auch (und dies ist normalerweise die Regel) eine Verarmung, weil die Kommunikation dabei ihren Charakter eines zweckfreien, vergnüglichen und erotischen Kontaktes verliert und stattdessen zu einer ökonomischen Notwendigkeit wird, zu einer freudlosen Fiktion“, so Berardi.
Obwohl sein Buch erstmals 2009 erschien, ahnte er damals bereits eine Spaltung unserer Gesellschaft in heimatverbundene „Somewheres“ und globalistische „Anywheres“. Es sei dabei zu befürchten, daß „der Zorn und die Verzweiflung von einer Milliarde ausgeschlossener Menschen den vielleicht 300 Millionen integrierten Menschen die Party verdirbt“. Das erleben wir tatsächlich gerade überall auf der Welt. Das hippe, flexible Leben der digitalen Bohème ist eben doch nur die Existenzform für eine kleine Minderheit.
Franco „Bifo“ Berardi: Die Seele bei der Arbeit. Von der Entfremdung zur Autonomie. Matthes & Seitz. Berlin 2019.
(Bild: Franco Berardi, Center for the Study of Europe Boston University, CC BY-SA 2.0)