Heute wäre Friedrich August von Hayek 120 Jahre alt geworden. Aufgrund dieses Jubiläums möchten wir den Text »Ein Geldsystem ohne Staat« von Florian Müller aus unserem vergriffenen Heft 1 online stellen. Viel Freude beim Lesen und bitte fleißig teilen!
Ein Geldsystem ohne Staat
„Tut mir leid, diese Währung nehmen wir leider nicht mehr“, schallt es dem schockierten Tobias entgegen. Tobias versucht weder mit der D‑Mark zu bezahlen, noch andere ausgestorbene europäische Währungen wiederzubeleben. Er hat sich schlicht und einfach für die falsche Währung entschieden. Wie geht denn so was? In Deutschland herrscht, irgendwo in einem Paralleluniversum, ein „Free-Banking-System“. Grundsätzlich kann man „Free-Banking“ damit erklären, daß verschiedene Banken als Wirtschaftsunternehmen gesehen werden und unabhängig von staatlichen Restriktionen agieren können. Der Kernaspekt: Jede Bank hat das Recht darauf, eine eigene Währung auszugeben.
Das würde wie folgt aussehen: Tobias hat gearbeitet und wurde mit Gold oder wertvollen Materialien belohnt. Da er kein Interesse hat – wie die meisten Menschen der Welt – sein ganzes Vermögen mit sich herumzutragen oder zu Hause zu horten, bringt er es auf die Bank seines Vertrauens. Die ist viel sicherer, zahlt ihm vielleicht sogar Zinsen und paßt, so lange er möchte, auf sein Vermögen auf. Nicht viel anders als in der Realität. Der bedeutende Unterschied: Die Bank gibt Zertifikate und Schuldscheine aus, die Tobias bescheinigen, daß er einen gewissen Wert auf der Bank deponiert hat.
Diese Schuldscheine erfüllen die vier ökonomischen Funktionen des Geldes: die Wertaufbewahrungsfunktion, sie ermöglichen die Wertübertragung und dienen als Recheneinheit oder Wertmesser, da schließlich draufsteht, für wie viel Vermögen die Scheine stehen. Hat die Bank einen guten Ruf, das heißt, sollte man als Gläubiger anklopfen und sein Gold mit dem Schein zurückfordern können, werden Unternehmen, Privatpersonen oder andere Banken die neue „Währung“ akzeptieren. Damit wäre auch die letzte Funktion, die allgemeine Tausch- und Zahlungsfunktion, erfüllt.
Sollte die Bank hingegen bankrott gehen, nur Teile ausbezahlen oder generell einen schlechten Ruf entwickelt haben, werden die Wirtschaftssubjekte die Noten dieser Bank nicht mehr annehmen. Die „Währung“ wäre innerhalb kürzester Zeit Geschichte und die Menschen würden zu einer vertrauenserweckenden Bank gehen, die wiederum eine eigene „Währung“ erschüfe. Sollten Banken auf die Idee kommen, mehr Zertifikate auszugeben, als an Gegenwert vorhanden ist, müssten sie sofort mit hartem Konkurrenzdruck kämpfen. Die Gefahr einer ungedeckten Währung mit Inflation wäre dadurch gebannt.
So oder so ähnlich stellen sich die meisten Theoretiker das „Free Banking System“ vor. Einer der bekanntesten Unterstützer dieses, meist von libertärer Seite stammenden Systems, war Friedrich August von Hayek.
Dieser betonte in seinem Buch The Denationalization of Money, daß sich im Falle eines Endes des Währungsmonopols sofort Banken herausbilden würden, die sich durch eigene Ab-und Aufwertung sowie den Devisenhandel finanzieren und um Kunden streiten würden. Kunden entschieden abhängig von der jeweiligen Geldpolitik der Banken, ob diese Währung zu ihnen passe.
Dabei müssen die Banken sich nicht an einen Goldstandard halten, sondern können nach Belieben Geld drucken. Einer der bekanntesten deutschen Ökonomen der „Wiener Schule“, Jörg Guido Hülsmann, stellt sich ebenfalls gegen das Währungsmonopol der Zentralbanken. Hülsmann greift Hayeks Ansatz der „Denationalisierung“ in seinem Hauptwerk Logik der Währungskonkurrenz auf, stellt sich allerdings radikal gegen inflationäre Tendenzen, die unter Hayeks System nicht ausgeschlossen wären. Für Hülsmann müsse sichergestellt werden, daß auch die Privatbanken ihre ausgegebenen Währungen zu 100 Prozent mit Edelmetallen oder „echten Werten“ decken.
Hayek, wie auch viele andere Ökonomen der „Wiener Schule“ beziehen sich in ihrer Arbeit auf historische Perioden, in denen in diversen Ausformungen eine Art des „Free Bankings“ existierten. Kritik gegenüber diesem Ansatz ist dagegen in allen Lagern zu finde. Den Rückweg von einem Aufbruch der monopolen Zentralbank bis zur Etablierung konkurrierender Währungsbanken hat es in der Realität noch nie gegeben. Dies ist daher also unbekanntes Terrain. Auch muß man sich verdeutlichen, was der Hauptwunsch der „Free Banker“ ist: Eine Abhilfe der künstlichen Ausweitung der Gesamtgeldmenge, die zu Inflation, Wertverlust und Krisen führt und eine Wahlfreiheit der Kunden, die den Währungswettbewerb belebt.
Darüber, daß eine starke Inflation für die Wirtschaft schädlich ist, sind sich alle Ökonomen einig. Ob allerdings eine Ausweitung der Geldmenge um wenige Prozent nicht stabilisierend oder sogar förderlich ist, bleibt tendenziell umstritten. Durch eine niedrige Inflationsrate beherrscht man die Gefahr einer Deflation, die, so die Meinung vieler Experten, deutlich gefährlicher als eine Inflation sei.
Aber auch abseits des ökonomischen Mainstreams sind libertäre Denker und Verfechter des Free Bankings nicht immer einer Meinung. Milton Friedman richtete sich gegen die Theorie Hayeks. Allein die Implementierung verschiedener Banken und das Aufbrechen der Zentralbank erfordern bereits einen Eingriff, der auf menschlichen Überlegungen beruht. Ein solches Vorgehen habe nichts mit der „unsichtbaren Hand“ der Marktmacht zu tun. Theoretisch hätten also, sei Hayeks Konzept tragfähig, bereits alternative Kleinwährungen entstehen müssen.
Im historischen Falle Schottlands zwischen 1716 und 1845 existierte ein „Free Banking System“ aus drei großen Banken und diversen Kleinbanken. Von den meisten Vertretern des „Free Banking“ wird diese Epoche als historisches Musterbeispiel von freier und unabhängiger Geschäftsbankenkonkurrenz gesehen. In einem seiner Aufsätze, The Myth of Free Banking in Scotland, kritisierte Murray Rothbard jedoch diese Überlegungen. Im Falle Schottlands soll es sich um eine nachträglich Romantisierung der freien Währungsemission gehandelt haben. Rothbard betont, daß 1797 die schottischen Banken, wie auch die englische Zentralbank, zeitgleich die gedeckte Währungsausgabe beendeten.
Sydney Checkland, britischer Wirtschaftshistoriker, verwies auf den Einschlag der Bankenkrise am Vorabend des Anglo-Französischen Krieges im Jahr 1793. Durch eine Anlegerpanik und einen „Bank Run“ befürchteten die größten schottischen Banken einen Totalzusammenbruch und baten die Bank of England um Goldreserven, da sie mehr Zertifikate ausgegeben hatten, als in den Tresoren lagerte. Das angedachte Konkurrenzsystem zwischen mehreren „Währungsbanken“ funktionierte nicht ansatzweise. Zusätzlich gab man sich in die Abhängigkeit der dominanten Bank of England und weigerte sich, den Sparern ihr Gold auszuhändigen. Selbst in der Zeit, in der Banken die meiste Freiheit genossen, war die Wirklichkeit folglich alles andere als rosig.
Inwiefern das Konzept in der heutigen Realität, vor allem in der modernen Weltwirtschaft, geeignet wäre, ist hoch umstritten. Im Zuge der Eurokrisen und der stetigen Erhöhung der Geldmenge der Europäischen Zentralbank gewinnt die Theorie des Free Bankings allerdings wieder an Gewicht. So hat sich deutlich herausgestellt, daß die EZB vor allem ein politisches Instrument zur Stabilisierung und Aufrechterhaltung des Währungsraumes geworden ist, und nicht die unabhängige Institution, von der anfänglich Befürworter der Eurozone sprachen.
Auch die Entwicklung moderner Technologien, allen voran dem Bitcoin und anderer elektronischer Währungen, befeuern die Debatte um alternative Zahlungsmittel. Die bis vor wenigen Monaten schier unvorstellbare Nachfrage an elektronischen Währungen, die sogar komplett ohne Bank funktionieren, aber auch der stark angestiegene Goldpreis in den letzten Jahrzehnten, vor allem im Zuge der Finanzkrise ab 2007, zeigt, daß immer mehr Bürger vor dem Euro flüchten.
Trotzdem muß man sich vor Augen führen, daß es sich hierbei um Randphänomene handelt. Der gesamte, weltweite Bitcoinwert des aktuellen Kurses liegt ungefähr bei 130 Milliarden Euro, ist also im Vergleich zu Dollar, Euro und Yuan noch immer sehr gering. Zudem vermuten viele Ökonomen ein Platzen der „Bitcoin-Blase“. Denn im Sinne Hülsmanns können auch alternative Währungen nur funktionieren, wenn sie durch Edelmetalle gedeckt sind. Trotz der Inflation und der Gefahr eines Währungskollapses stagniert der Goldpreis seit einigen Monaten. Vor allem dienen Edelmetalle bisher nur als reine Geldanlage. Davon, daß man in Geschäften mit Goldklümpchen aufwiegt, ist man noch himmelweit entfernt und vermutlich wird das auch niemals wiederkommen.
Ob man die Uhren also wieder zurückdrehen wird und goldgedeckte oder papierne Alternativwährungen entstehen lassen wird, ist mehr als fraglich. Vor allem scheinen die kritischen Ökonomen den psychologischen Faktor der monopolen Währung zu unterschätzen. Selbst wenn es rational klüger wäre, in Gold, Bitcoin oder Auslandsdevisen zu investieren, also der reine Markt in Richtung der alternativen Währungen drängt, wird die Bevölkerung noch lange brauchen, um sich von ihrer Standardwährung zu trennen.
Solange das Vertrauen in eine Währung, sei sie noch so marode und inflationär, vorhanden ist, werden sich nur Spekulanten, Systemkritiker, Theoretiker oder Paradiesvögel in alternative Währungen flüchten. Sollte dieses Vertrauen allerdings zusammenbrechen, könnte man sich durchaus die Koexistenz voll funktionsfähiger Währungen vorstellen. Egal, ob sie von Banken oder wie diverse Kryptowährungen, von den Anlegern selbst ausgegeben werden.