In seinem ersten Leben war Jörg Meuthen Professor für Volkswirtschaftslehre. Seit 2015 steht der 56-Jährige nun an der Spitze der AfD und vertritt seine Partei im Europaparlament. Wir haben mit ihm über die wirtschaftspolitische Ausrichtung der Alternative für Deutschland gesprochen.
Recherche D: Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Meuthen, an den Finanzmärkten geht die Sorge um, die Zinsen könnten schneller steigen als vermutet. Was bedeutet das für den Euro? Und was erwarten Sie jetzt von EZB-Präsident Mario Draghi?
Prof. Dr. Jörg Meuthen: Ich glaube nicht, dass die EZB die Zinsen erhöhen wird. Anders als die FED hat die EZB in ihrem Einflussbereich nicht aufgeräumt. Im Gegenteil, Banken und Staaten sind weiterhin überschuldet. Wir haben inzwischen eine chronische Krise der Eurozone, steigende Zinsen können jederzeit einen akuten Neuausbruch provozieren. Vor allem Italien steht schlechter da als 2012, als Draghi sich berühmte, man werde »whatever it takes« tun, um den Euro zu retten. Italien hat die Zeit nicht genutzt, um sich zu sanieren.
Mit mehr als 130 Prozent Staatsverschuldung, der zweithöchsten nach Griechenland im Euroraum, kann jede Zinserhöhung dazu führen, dass es keine Interessenten mehr für Italiens Staatsanleihen gibt. Bei Griechenland sprach man seinerzeit davon, es habe den Zugang zu den Kapitalmärkten verloren. Das war freilich ein selbstgemachtes Problem, das Italien jederzeit ebenfalls widerfahren kann, sogar dann, wenn Draghi die Leitzinsen nicht erhöht. Dann brennt die Hütte. In der Haut von Draghi möchte ich dann nicht stecken.
Im Verhältnis zum Dollar erweist sich der Euro allerdings derzeit als erstaunlich fest. Woran liegt das?
Das ist mehr eine Schwäche des Dollars als die Stärke des Euro. Die Politik von Trump hat Unsicherheit hervorgerufen, weil seine Handelspolitik und auch die Haushaltspolitik kritisch gesehen werden. Die USA haben mit Sicherheit große Probleme, die der Eurozone sind aber noch größer. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Krisenhaftigkeit der Eurozone bald wieder offensichtlicher wird.
Die AfD startete 2013 als wirtschaftsliberale Anti-Euro-Partei. 2015 mit dem Aufkommen der Asylkrise verschoben sich dann die Prioritäten in vielerlei Hinsicht. Unter anderem rückte nun auch das Thema soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt, weil sich im Volk der Eindruck verfestigte, die Bundesregierung würde Migranten bevorzugen. Mal ganz provokant gefragt: Hat Ihnen da die politische Großwetterlage die Agenda diktiert?
Wir haben immer unser Programm gemacht und nichts verändert. Das Sichtfeld der Öffentlichkeit ist immer stimmungs- und tagesabhängig. Welche unserer Themen die öffentliche Wahrnehmungsschwelle überschreiten, haben wir nicht in der Hand, weil wir die Themen nur eingeschränkt setzen können. Die Medien haben sich mit der AfD meist nur befasst, wenn es über Zwist und Streit zu berichten gab.
Unsere Sacharbeit findet kein Interesse bei Journalisten, außer, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Wir waren aber immer eine breit aufgestellte, freiheitliche, konservative und patriotische Partei. Und wir arbeiten kontinuierlich daran, unser Programm zu verfeinern.
Seit eh und je produziert die AfD mit Flügelkämpfen viele Schlagzeilen. Die Medien beschreiben Ihre Partei als eine chaotische Vereinigung der Gegensätze. „Marktradikale“ würden dabei gegen „Sozialpopulisten“ kämpfen. Wo stehen Sie in diesem Konflikt und was hält die AfD zusammen?
Die Gegensätze sind nicht so groß, wie man meint. Uns verbindet, dass wir eine Partei des politischen Realismus sind. Wir wissen, dass man entweder offene Grenzen oder einen Sozialstaat haben kann. Wir wissen, dass unser Sozialstaat ein Pull-Faktor ist, der en gros Migranten anzieht, die nicht arbeiten wollen, obwohl wir nur das Gegenteil akzeptieren können – nämlich gezielte qualifizierte Einwanderung nach unseren Regeln. Wir wissen auch, dass wir in unserem Sozialstaat mit den Problemen einer jahrzehntelang verfehlten Migrationspolitik kämpfen. Die Altparteien sind dafür verantwortlich, dass z. B. die Mehrzahl der Hartz-IV Empfänger nicht-deutscher Herkunft ist.
Aber, und das ist vielleicht am wichtigsten, wir wissen, dass unser Sozialstaat überlastet ist, ganz ohne migrationsbedingte Probleme, die lediglich als Brandbeschleuniger des Systems wirken. Ein Sozialstaat funktioniert nur, wenn er sich auf echte Notlagen konzentriert und beschränkt. Der deutsche Sozialstaat ist davon weit entfernt und ermöglicht ein Leben ohne Leistung. Die Linken wollen sogar mit einem bedingungslosen Grundeinkommen ein Deutschland des Müßiggangs schaffen. So ist Deutschland nicht groß geworden. Gerade als Konservative sollten wir daher gesellschaftliche Bedingungen schaffen, in denen Tugenden wie Fleiß, Sparsamkeit und Bescheidenheit florieren können.
Lassen Sie uns einmal diesen Konflikt zwischen liberalen und sozial eingestellten Patrioten am Beispiel der Rente diskutieren. Wie soll unser Sozialstaat im Jahr 2050 funktionieren, wenn wir davon ausgehen, daß die Geburtenrate in den nächsten Jahren nicht bedeutend steigt?
Eine sehr komplexe Frage. Ich versuche es mit ein paar Eckpunkten, um die sich die Diskussion drehen sollte. Ich bin der Überzeugung, dass erstens das Umlagesystem ein Irrweg ist. Nur dadurch ist die Demographie ein Faktor in der Rente, der den Linken als Vorwand für ihre Migrationspolitik dient. Das zweite Problem ist die Finanzierung der Rente über Beiträge statt Steuern. Es bedeutet, dass die hart arbeitenden Menschen aus einem häufig geringem Einkommen eine Rente erwirtschaften, die bei den meisten nicht viel über der Grundsicherung liegt. Das ist ungerecht.
Wir brauchen für die, die ihr Leben lang gearbeitet haben, einen größeren Abstand zu denen, die das nicht getan haben – wie beim Lohn. Drittens müssen wir Freiräume schaffen, die es ermöglichen, aus dem Lohn eine Altersvorsorge aufzubauen. Wir sind die Partei des mündigen Bürgers, dem wir zutrauen im Rahmen seiner sozialen Bindungen und seiner Familie für sich und die seinen zu sorgen. Die Belastungen der Arbeitnehmer müssen so weit sinken, dass das wieder möglich wird.
Zum Abschluß in aller Kürze: Was sagen Sie jenen Kritikern innerhalb und außerhalb Ihrer Partei, die behaupten, die AfD sei noch lange nicht reif für eine Regierungsbeteiligung? Im nächsten Jahr stehen schließlich die Chancen der AfD, Verantwortung übernehmen zu müssen, in Brandenburg, Thüringen und Sachsen nicht so schlecht, um es mit der gebotenen Vorsicht auszudrücken.
Die AfD wird vielleicht früher, vielleicht später, aber jedenfalls mit Sicherheit Regierungsverantwortung übernehmen. Sowohl im Bund wie in den Ländern. Wir sind aber zugegebenermaßen als Partei und auch in den Gliederungen jeweils in unterschiedlichen Stufen des Lernprozesses. Wo der Lernprozess fortgeschritten ist, ist eine Regierungsbeteiligung wahrscheinlicher.
Wir arbeiten alle sehr hart und zielstrebig daran, den nötigen Grad der Professionalisierung überall zu erreichen. Das kann bereits im nächsten Jahr der Fall sein, ist aber auch zu einem späteren Zeitpunkt möglich. Wir werden dann entscheiden, wenn sich diese Frage stellt.
Herr Professor Meuthen, vielen Dank für das Gespräch!
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