Verein Journalismus und Wissenschaft

Linker Gleichheitspopulismus

Eine Stu­die der Hans-Böck­ler-Stif­tung schlägt Alarm: Die Ein­kom­mens­ver­tei­lung in Deutsch­land sei so ungleich wie nie. Wäh­rend die wohl­ha­bends­ten Haus­hal­te von immer höhe­ren Ein­künf­ten pro­fi­tier­ten, wach­se am unte­ren Ende der Ein­kom­mens­ska­la die Armuts­lü­cke – jener Abstand zur Armuts­gren­ze von 60 Pro­zent des mitt­le­ren Einkommens.

Für die Stu­di­en-Autoren beson­ders evi­dent: Der soge­nann­te Gini-Koef­fi­zi­ent – ein sta­tis­ti­sches Maß zur Erfas­sung von Ungleich­ver­tei­lun­gen – lie­ge um fast 20 Pro­zent höher als Ende der 90er Jah­re. Das Fazit des neu­en WSI-Ver­tei­lungs­be­richts ist daher ein­deu­tig: Die viel­zi­tier­te Sche­re zwi­schen arm und reich befin­de sich auf einem „his­to­ri­schen Höchst­stand“. Um mehr Gleich­heit zu errei­chen, rufen die Autoren nach mehr Umverteilung.

Recher­che Dres­den sieht sowohl die zugrun­de geleg­te Maß­ein­heit als auch die Bewer­tung der Meß­ergeb­nis­se des WSI-Berichts kri­tisch. Die Ein­kom­mens­ver­tei­lung allein lässt noch kei­nen Schluß auf das all­ge­mei­ne Wohl­stands­ni­veau zu. Der Gini-Index zwi­schen 0 (alle ver­die­nen das Glei­che) und 1 (einer ver­dient Alles) kann sehr hohe Wer­te anneh­men, also beson­ders unglei­che Ein­kom­mens­ver­hält­nis­se spie­geln, wäh­rend gleich­zei­tig die Armuts­quo­te in der Brei­te sinkt.

Flo­ri­an Mül­ler hat dies in unse­rem Heft 5 mit dem The­men­schwer­punkt „Gleich­heit“ am Bei­spiel Chi­nas gezeigt. Dort gelang es seit den 1980er-Jah­ren die extre­me Armuts­quo­te von 90 auf unter ein Pro­zent zu redu­zie­ren, wäh­rend der Gini-Index mit einem Wert von 0,6 mitt­ler­wei­le dort sogar dop­pelt so hoch liegt wie in Deutsch­land. Mit ande­ren Wor­ten: Ungleich­heit ist kein sozia­les oder öko­no­mi­sches Pro­blem, solan­ge es auch den unte­ren Schich­ten gut geht.

Sie wird hin­ge­gen zu einem ideo­lo­gi­schen Pro­blem, wenn „öko­no­mi­scher Analpha­be­tis­mus“ (Flo­ri­an Mül­ler) auf „fun­da­men­ta­len Sozi­al­de­mo­kra­tis­mus“ (Rolf Peter Sie­fer­le) trifft, wie dies bei den WSI-Autoren zu sein scheint. Hier wird der Gini-Koef­fi­zi­ent mit einem nor­ma­ti­ven Bias auf­ge­la­den und der Wert 0 als Ide­al­zu­stand aus­ge­ge­ben, der u.a. durch Umver­tei­lung zu ver­wirk­li­chen sei. So rich­ten die Autoren das lin­ke Gleich­heits­pa­ra­dig­ma an einem impli­zit mit­ge­dach­ten Gini-Gleich­heits-Ran­king aus, bei dem Staa­ten wie die DDR und Nord­ko­rea die Spit­zen­grup­pe bil­den dürften.

Vermögensunterschiede sind das eigentliche Problem

Zudem ver­stel­len sich die Autoren emi­nen­te Erkennt­nis­mög­lich­kei­ten, indem kei­ne Dif­fe­ren­zie­rung nach Ein­kom­mens- und Ver­mö­gens­un­gleich­heit erfolgt. Laut IW Köln ver­fü­gen die obe­ren zehn Pro­zent der Haus­hal­te zwar über 36 Pro­zent des Ein­kom­mens, aber über fast 60 Pro­zent des Ver­mö­gens. Die­se Dis­kre­panz ver­rät: Rei­che wer­den immer rei­cher, weil sie etwa mit Immo­bi­li­en oder Akti­en über wert­vol­le­re Anla­ge­op­tio­nen ver­fü­gen – wäh­rend die Spar­bü­cher der Mit­tel­schicht durch die EZB-Null­zins­po­li­tik ent­wer­tet wer­den und in der Unter­schicht schon lan­ge in die Mie­te geht, was frü­her auf die hohe Kan­te kam.

Die „Geld­schöp­fung aus dem Nichts“, an der die Noten­ban­ken glei­cher­ma­ßen mit­wir­ken wie die Staa­ten mit ihren nie­mals zu beglei­chen­den Schul­den, begüns­tigt immer zuerst die Eli­ten. Denn das neue Geld sickert von oben nach unten in die Gesell­schaft ein. Volks­wirt­schaft­ler spre­chen dann vom soge­nann­ten Can­til­lon-Effekt. Mar­tin Stir­ner schrieb dazu in Heft 6 von Recher­che D: „Die­ser Vor­gang macht die Rei­chen rei­cher und die Armen ärmer.“

Der WSI-Ver­tei­lungs­be­richt kurvt somit an den ent­schei­den­den Fra­gen vor­bei und zieht sich auf einen öko­no­misch unin­for­mier­ten Gleich­heits­po­pu­lis­mus zurück, ohne sich die Fin­ger an den wirk­lich hei­ßen Pro­blem­her­den zu verbrennen.

(Bild: Pix­a­bay)

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