
Patriotische Globalisierungskritik
Hin und wieder erreicht uns der Vorwurf, mit dem Konzept der „nachbarschaftlichen Marktwirtschaft“ würden wir Autarkie anstreben und wohl zukünftig Autos in der Garage basteln wollen, die 100 % Made im Erzgebirge sind. Dieser Vorwurf zeigt die Notwendigkeit einer patriotischen Globalisierungskritik, zu der wir heute sechs Thesen liefern möchten.
1. Die Vorteile der Globalisierung sind uns wohlbekannt und wir müssen selbstverständlich unsere Position auf dem Weltmarkt verteidigen! Gerade das geht aber nicht mit Vereinheitlichung, sondern mit Spezialisierung und damit einer Betonung unserer eigenen Wirtschaftskultur.
2017 lagen die deutschen Exporte bei 1,3 Billionen Euro. Fast alle DAX-Konzerne machen zudem hauptsächlich ihre Umsätze im Ausland. Adidas erreicht hier einen Spitzenwert von 95 Prozent. Abschottung wäre folglich in der Lage Deutschlands absolut kontraproduktiv, zumal die Globalisierung noch immer riesige Potentiale bietet – etwa für deutsche Autokonzerne, sollte es gelingen, in Afrika eine gut ausgebaute Infrastruktur zu errichten. Von der prognostizierten Verdreifachung des internationalen Güterverkehrs bis 2050 dürften ebenfalls Unternehmen wie die Deutsche Post profitieren. Insofern ist Autarkie abzulehnen. Dennoch stellt sich die Frage, ob wir auf dem Weltmarkt in eine Position der Abhängigkeit hineingeraten wollen oder eine Position der Selbstbestimmung anstreben. Gerade die Türkei-Krise sollte dabei vor Augen führen, daß Selbstbestimmung immer besser ist als gefährliche Abhängigkeiten von schuldenbasiertem Wachstum in Schwellenländern.
2. Wozu es aber nicht kommen darf, ist eine Globalisierung des Südens!
Daß sich die ganze Welt einheitlich gemäß des nördlichen Vorbilds entwickelt, ist nicht bewiesen. Massenmigrationen und der demographische Niedergang im Norden könnten auch dazu führen, daß sich die Verhältnisse des globalen Südens weltweit ausdehnen.
3. Eine Stärkung der Binnenwirtschaft muß vor dem internationalen Handel immer Vorrang haben. Das wußte schon Adam Smith, der keineswegs so Freihandels-begeistert war, wie immer behauptet.
Investitionen in die eigene Heimat sind stets zu bevorzugen. Adam Smith erklärte in seinem Wohlstand der Nationen anschaulich, warum dies der Fall ist. Investiere ich in ein Unternehmen aus Ausland A, welches Handel treibt mit Ausland B, fließt nur die Rendite zu mir. Die ökonomischen Vorteile meines Investments, z.B. die Schaffung von Arbeitsplätzen, kommen dagegen Ausland A und B zugute.
Genau dies ist anders, wenn ich in ein inländisches Unternehmen investiere, welches dann den Wohlstand im eigenen Land mehren kann, wovon ich indirekt ebenfalls profitiere, weil das Unternehmen bestimmte Produkte herstellt, Steuern zahlt, von denen Schulen gebaut werden können etc. pp.
4. Von Friedrich List lernen wir zudem: Abschottung kann für die Entwicklung junger Industrien notwendig sein, damit sie sich später auf Weltmarkt behaupten können.
Dieses Verständnis von Protektionismus ist das glatte Gegenteil der Politik von US-Präsident Donald Trump, der aufgrund innenpolitischer Erwägungen Industrien auf dem absteigenden Ast schützt.
5. Wir wollen keinen US-„Zero to One“-Globalkapitalismus, sondern marktwirtschaftlichen Wettbewerb und damit Vielfalt!
Das Agieren von Unternehmen wie Coca Cola, Amazon, Paypal und Facebook ist nur im Kontext der amerikanischen Wirtschaftskultur zu verstehen. Sie sind darauf spezialisiert, schnell zu weltweit bekannten Marken heranzuwachsen und versuchen den Wettbewerb auszuschalten, um Monopole zu errichten. Diese Spielart des Kapitalismus bezeichnen wir als „Globalkapitalismus“, der kulturell eine nivellierende Wirkung hat, die wir ablehnen.
Das europäische, marktwirtschaftliche Verständnis setzt dagegen auf Wettbewerb und Vielfalt. Eine „Aura des Wertvollen“ (Mario Pricken), über die eine Qualitätsführerschaft realisiert werden soll, wird dem Billig-Konsum (Preisführerschaft) vorgezogen. Auf die Stärken dieses Wirtschaftsmodells müssen wir uns besinnen. Das kann aber nur gelingen, wenn uns die vielfältigen Zusammenhänge zwischen Markt, Kultur und Moral im Gedächtnis bleiben. Dies betrifft sowohl den Fleiß in der Produktion als auch ein kulturell gewachsenes Wertebewußtsein bei der Auswahl von Produkten (Konsumtion).
6. Identität entsteht vor Ort und nicht durch Globalisierung.
Prof. Dr. Dr. Ulrich Schmidt vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) stellte zu dieser These unlängst fest, daß die Globalisierung bei allen unbestreitbaren Vorteilen, die rational begründet werden können, ebenso zu einigen Verwerfungen geführt habe, die da wären:
Erosion der Identität, des Zusammengehörigkeitsgefühls in der Gesellschaft sowie des sozialen Kapitals wie Vertrauen, Reziprozität und Kooperationsbereitschaft.
Wer die Risiken der Globalisierung abfedern will, wie er sich das wünscht, müsse deshalb auf eine Stärkung lokaler und regionaler Netzwerke und Wirtschaftsbeziehungen setzen:
Verhaltensökonomische Studien zeigen, dass regionale Wirtschaftsbeziehungen soziale Netzwerke stärken und somit den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern sowie das Vertrauen in der Gesellschaft erhöhen. Daher ist der Ausbau regionaler Wirtschaftsbeziehungen geeignet, den aus der Globalisierung resultierenden gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen. Zudem ergeben sich positive Nebenwirkungen, nämlich Klimaschutz durch weniger Transport sowie die Förderung einer mittelständischen Unternehmensstruktur.
Die Frage, ob bei Globalisierung die Vorteile die Nachteile überwiegen oder umgekehrt, ist zwar typisch und keht so immer wieder, ist aber falsch gestellt, weil utilitaristisch, d.h. eigentlich REIN ÖKONOMISCH. Ökonomisch aber ist diese Frage nicht zu lösen, wie auch rein wissenschaftlich nicht. Die Antwort lautet nämlich immer: Globalisierung ist nützlich und schädlich und hat ihre Vorteile und ihre Nachteile wobei nicht zu entscheiden ist, ob die Vorteile die Nachteile überwiegen. Um das zu entscheiden benötigt man eine ethisch-politische Fragestellung, z.B. bezüglich der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Globalisierung. Wenn ich z.B. »patriotisch« argumentiere, setzte ich voraus, dass Vaterland, Nationalstaat, Volkstum, usw. gesollt sind, also WERTE ich damit bereits. Ähnlich kann man aber auch für One-World argumentieren wenn man meint, so etwas sei gesollt. Dann, hier die These Numero 1 anzunehmen, impliziert, schon verloren zu haben. Auch kann man Autarkie partout nicht verwerfen, sondern muss analysieren, was das Richtige am Autarkiegedanken ist, wie das Prof. Friedrich Romig vor vielen Jahren getan hat.
Ich poste hier mal noch nicht meine »Gedanken zu Wirtschaftskulturen«, weil sie zur Veröffentlichung im nächsten Heft von »Recherche D« vorgesehen sind.
Interessantes zum Thema habe ich auch im neuesten Heft des SPIEGEL – jaja, auch ein blindes Huhn findet manchmal ein Popcorn – gefunden. Der referiert dort (DER SPIEGEL Nr. 1 / 29.12.2019, S. 101–105) einige kritische Autoren zum Thema »Konflikt zwischen Kosmopoliten und Populisten«, insbesondere Christophe Guilly (Paris) und Eric Kaufmann (London), die darlegen, daß es eine »große Spaltung zwischen ›Anywheres‹ und ›Somewheres‹ « gibt, wobei die westlichen Anywhere-Eliten »das eigene Volk vergessen haben« (Guilly), während die Somewheres »sich oft ›wie Fremde im eigenen Lanmd‹ « fühlen (Kaufmann). Der SPIEGEL resümiert: »Linke und Liberale verstehen des Verlangen nach Freiheit und Selbstverwirklichung gut, das nach Anerkennung, Ordnung und Zugehörigkeit weniger. […] Der britische Autor David Goodhart […]« plädiert für »eine Rückkehr zur Sorge um das Gemeinwohl, die im Zeitalter der postnationalen Globalisierung immer auch eine nationale Präferenz miteinschließt.«
Grade habe ich einen Hinweis auf einen interessanten Artikel zum Thema zugeschickt bekommen, den ich hiermit weiterreiche:
Horst Müller Die neoliberale Globalisierung und Ideen für eine neue Ökonomik. Untersuchungen zu Heiner Flassbeck und Paul Steinhardt: Gescheiterte Globalisierung – Ungleichheit, Geld und die Renaissance des Staates. In: Studien zur Philosophie & Wissenschaft gesellschaftlicher Praxis. PdF: https://www.praxisphilosophie.de/neoliberale_globalisierung_und_neue_oekonomik.pdf