Die Vermeidung von Plastikmüll ist derzeit in aller Munde. Wir haben das Thema bereits in unserem ausverkauften Heft 1 behandelt und möchten den Artikel nun allen Lesern zugänglich machen.
Plastikverpackungen stellen ein großes Problem für die Umwelt dar. Gigantische Mengen Plastikmüll verschmutzen die Weltmeere und gelangen so in unsere Nahrungskette. Das Hamburger Start-up Bio-Lutions hat ein Verfahren entwickelt, das erlaubt, aus Agrarresten Verpackungen herzustellen. Doch werden sich die pflanzenbasierten Verpackungen gegen Alternativen durchsetzen?
Unzählige Produkte, die wir täglich kaufen, sind in Plastik eingeschweißt. Plastik ist praktisch: Plastikverpackungen schützen vor allem Lebensmittel vor dem Verderben und erlauben auch, sie ohne Beschädigungen zu transportieren und in haushaltsüblichen Mengen zum Verkauf anzubieten. Doch Plastik hat eine verheerende Öko-Bilanz. Jeder Deutsche verursacht pro Jahr knapp 37 Kilogramm Plastikverpackungsmüll. Deutschland belegt damit in der EU den dritten Platz. Nur in Estland und Irland landet noch mehr Plastik auf der Müllkippe: 46 Kilogramm Verpackungsabfall aus Plastik entfallen in Estland pro Jahr auf jeden Bürger und in Irland sind es 60 Kilogramm. Davon wird nur ein Bruchteil recycelt. Gerade einmal neun Prozent des weltweit anfallenden Verpackungsmülls wird zu neuen Kunststoffprodukten verarbeitet. Dabei wäre eine Wiederverwertung dringend nötig – es dauert knapp 500 Jahre, bis herkömmliches Plastik verrottet.
Der Großteil der Plastikverpackungen wird aus Rohöl hergestellt. Doch mittlerweile gibt es Alternativen zum ölbasierten Kunststoff. Plastikverpackungen lassen sich auch aus Stärke und Cellulose herstellen. Allerdings hat der Einsatz dieser Rohstoffe einen entscheidenden Nachteil: Die für den Anbau erforderlichen landwirtschaftlichen Nutzflächen werden für die Nahrungsmittelherstellung benötigt. Würde ein Großteil des weltweit benötigten Plastiks aus Stärke oder Cellulose hergestellt, würden die Lebensmittelpreise drastisch ansteigen.
Das Hamburger Unternehmen Bio-Lutions bietet eine Alternative zu den bisherigen Öko-Plastikverpackungen an und hat dazu mit Plantio ein eigenes Werksmaterial hergestellt. Als Basis dienen Pflanzenfasern, die in der Agrarwirtschaft als Reststoffe anfallen und die keine anderweitige Verwendung finden – etwa als Futtermittel oder als Basis für Bio-Kraftstoff. Dabei können alle regional anfallenden Agrarreste verwendet werden. Tomatenstauden, Ananassträucher, Reis- und Weizenstroh, aber auch Sägespäne- und Baumwollreste lassen sich mit der von Bio-Lutions entwickelten Methode zu Verpackungen verarbeiten. Die Pflanzenreste werden zunächst gereinigt. Dann werden sie mit speziellen Maschinen auf Nanogröße zerkleinert und angeraut. Die so bearbeiteten Pflanzenfasern bilden unter Zugabe von Wasser eine selbstbindende Masse, die sich zu Verpackungen formen lässt. Bei diesem Verfahren sind keine chemischen Zusätze nötig.
Bio-Lutions hat bereits eine Vielzahl von Verpackungen im Programm, die sich durch das hauseigene Verfahren herstellen lassen. Die Basis-Version ist für trockene Güter geeignet. Darüber hinaus sind weitere Produkte im Konzeptstadium: Mit diesen ließen sich Spaghetti oder Kopfhörer verpacken. Eine zweite angebotene Variante, die derzeit in Planung ist, enthält Zusätze, die die Verpackungen wasser- und ölresistent machen. Einweg-Speiseteller, Joghurtverpackungen oder Cremedosen ließen sich damit herstellen.
Im Vergleich zu den Alternativen sind die von Bio-Lutions entwickelten Verpackungen sehr viel nachhaltiger. In der Herstellung wird nur eine minimale Menge an Wasser und Energie benötigt. Während in der Produktion von cellulosebasiertem Kunststoff pro Kilo Verpackung knapp 140 Liter Wasser benötigt wird, reichen bei dem von Bio-Lutions entwickelten Verfahren gerade einmal vier Liter Wasser aus. Die Verpackungen sind unter gewöhnlichen Bedingungen vollständig kompostierbar. Werden sie verbrannt, wird in etwa die Menge an CO2 ausgestoßen, die die Pflanzen vorher für ihr Wachstum aus der Atmosphäre gezogen haben. Auch enthalten die Verpackungen von Bio-Lutions keine Weichmacher oder anderen schädlichen Stoffe, die sich in vielen gewöhnlichen Plastikverpackungen nachweisen lassen.
Fünf Jahre hat es gedauert, bis das von Bio-Lutions entwickelte Verfahren die Marktreife erreicht hat. Die lange Entwicklungsphase hat sich für das Hamburger Start-up gelohnt: Bio-Lutions wurde 2017 mit dem Deutschen Verpackungspreis sowie dem Innovationspreis „Bio-based Material of the Year“ ausgezeichnet.
Das Motto von einem der Gründer von Bio-Lutions, Eduardo Gordillo, lautet: „Ecology follows economy“. Nur wenn ein umweltfreundliches Produkt auch kostengünstig sei, werde es sich durchsetzen und der Umwelt einen Nutzen bringen, so Gordillo.
Eine erste Verpackungsanlage von Bio-Lutions hat bereits im indischen Bangalore den Betrieb aufgenommen. Das Rohmaterial für die Produktion liefern Bauern aus der Region an. Durch den Verkauf der Agrarreste können die Bauern ihr Einkommen aufbessern. Momentan stellt die in Indien ansässige Fabrik monatlich 600 Kilogramm Verpackungen her.
In Indien sei der Bedarf laut Auskunft des Gründers Gordillo besonders groß. Da das Land nicht über eine zuverlässige Müllabfuhr verfüge und man auf den Straßen überall Plastikabfall finden könne, sei es folgerichtig gewesen, in Indien zuerst eine Fabrik für kompostierbare Verpackungen zu errichten. Darüber hinaus belege die indische Regierung herkömmliche Kunststoffverpackungen mit hohen Steuern, sodass die von Bio-Lutions entwickelten Verpackungen preislich im Vorteil seien.
Die Expansion in andere Länder ist bereits beschlossene Sache. Gordillo stellt fest: „Mittlerweile haben wir unglaublich viele Anfragen von Bio-Läden und ‑Unternehmen aus Deutschland, die unsere Verpackungen kaufen wollen.“ Der Gründer betont, dass das Unternehmen aber erst ab 2020 in Deutschland kompostierbare Verpackungen anbieten werde. Potentielle Kunden aus Deutschland müsse er momentan noch vertrösten. Denn ein Export der in Indien produzierten Verpackungen nach Deutschland komme für ihn aus ökologischen Gründen nicht in Frage. Die Klimabilanz der Verpackungen sei zu schlecht, wenn man sie von Indien nach Deutschland verschiffe.
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(Bild: Pixabay)
Anmerkung der Redaktion: Wir haben den Artikel von Martin Grajner am 29. Juli 2019 aktualisiert. Die Fehler der früheren Version bitten wir zu entschuldigen.